Der Glaube verleiht Augen

Eucharistische Anbetung ist eine Einführung in die Gesinnung und das Geheimnis Christi

Hl.Katharina von Siena (mystische) HochzeitDie Tagespost, 05.06.2013, von Marianne Schlosser

“Festige in mir den Glauben, den Seher Deiner Geheimnisse,/ auf dass ich Dir gemäss Dein Opfer schaue, und nicht mir gemäss./ Schaffe in mir Augen, Herr, / und mit Deinen Augen will ich Dich schauen, / der ich Dich mit meinen Augen nicht erblicke …”

Diese Bitte um die rechten Augen für die geheimnisvolle Gegenwart Christi stammt aus einem Gebet des Rabban Jausep Hazzaya, eines syrischen Eremiten des achten Jahrhunderts. Das gesamte Gebet hat etwa die Länge unseres Ersten Hochgebetes und sollte auf die Teilnahme an der Eucharistiefeier vorbereiten.

Auch wenn wir aus dieser Zeit noch keine ausdrücklichen Formen der Eucharistie-Verehrung ausserhalb der Messfeier kennen und die spezifische Form der eucharistischen Anbetung sich nur im Bereich der lateinischen Kirche entfaltet hat, so hätte ein solcher Text kaum entstehen können, wäre das Mysterium der Eucharistie nicht auch ausserhalb der Feier Gegenstand der Betrachtung gewesen. Gebete und Praxis der Alten Kirche bezeugen, mit welcher Ehrfurcht die sakramentalen Gestalten innerhalb und ausserhalb der Liturgie behandelt werden. Grund dafür ist die Überzeugung von ihrem bleibenden Gewandeltsein. Darum wird die eucharistische Speise Abwesenden gesandt (Justin im zweiten Jahrhundert); verschiedentlich ist belegt, dass sie aufbewahrt wird, damit die Gläubigen an Tagen ohne Eucharistiefeier davon kommunizieren können (Tertullian im zweiten Jahrhundert, Hippolyt im dritten Jahrhundert, Basilius im vierten Jahrhundert).

Selbst der damals mancherorts geübte Brauch, die übrig gebliebenen Species nach der Feier zu verbrennen oder zu begraben, wurzelt in der Sorge, eine mögliche Verunehrung auszuschliessen. Vor allem wurde den konsekrierten Gestalten innerhalb der Liturgie höchste Ehre erwiesen. Der irdische Leib des Herrn, den er aus Maria angenommen hat und in dem er den Menschen so viel Gutes tat – so wird mit Nachdruck wiederholt –, ist kein anderer als der verklärte Leib, und daher auch derselbe, der sakramental von den Gläubigen empfangen wird. Dem verhüllt gegenwärtigen Herrn gebührt der Gestus der Anbetung – der bekannte Satz des Augustinus (Enarr. in ps. 98) ist nicht das einzige Zeugnis dafür: “Niemand isst dieses Fleisch, ohne dass er vorher angebetet hat. …” Ehrfurcht vor der sichtbaren Gestalt ist die Wurzel für die spätere Ausfaltung der Elevation. Hatte man das Sakrament ursprünglich beim Agnus Dei bzw. vor der Ausspendung den Gläubigen erhoben gezeigt, so war um das Jahr 1200 zusätzlich die Elevation der Hostie nach der Wandlung Brauch, wenig später auch die Erhebung des Kelches. Es entstanden die bekannten Gesänge zur Begrüssung des gegenwärtigen Christus, zum Beispiel “Ave verum corpus”.

Erste Andeutungen einer ausdrücklichen Verehrung des Sakramentes ausserhalb der Liturgie finden sich in frühmittelalterlichen Eremiten-Regeln (Grimlaic-Regel, 9. Jahrhundert, Ancren Riwle, 12. Jahrhundert): Die Einsiedler-Zellen waren oft an die Kirche angebaut, mit einem Fenster in den Kirchenraum; die Reklusen sollten ihre radikale Zurückgezogenheit als bewusstes Leben in der Gegenwart des Herrn verstehen und den “Blick auf sein Fleisch und Blut” suchen.

Eine von der “Basis” getragene Bewegung

Die eigentliche Entfaltung der eucharistischen Frömmigkeit, die um das Jahr 1100 begann und im 13. Jahrhundert zur Blüte gelangte, ging einher mit einer notwendig gewordenen Klärung theologischer Fragen; sie war zugleich getragen “von der Basis”: dem gläubigen Volk, den jungen Bettelorden, Nonnen, Beginen und Reklusinnen. Es ging keineswegs nur um “Schau-Frömmigkeit”, auch das Verlangen nach einem häufigeren Empfang der Kommunion war damit verbunden (zum Beispiel Flandern oder Helfta). Trotz der bekannten missbräuchlichen Praktiken ist nicht zu übersehen, dass “Schauen” ebenso wie “Essen” letztlich Weisen der personalen Begegnung sein müssen. Essen heisst empfangen, schauen heisst erkennen. “Wer kann das Sakrament berühren? Die Hand der Liebe. Wer kann es kosten? Der Geschmackssinn der heiligen Sehnsucht. Wer kann es schauen? Das Auge des Geistes, wenn seine Pupille der Glaube ist. Das Auge des Leibes schaut die weisse Brotsgestalt, das Auge des Geistes aber Christus, Gott und Mensch.” (Caterina von Siena).

Zwischen der Liturgie als Feier der Kirche und der Kontemplation, zwischen “Essen” und “Schauen”, besteht ein tiefer Zusammenhang. Für die Kirchenväter war die Feier der “Mysterien Christi” die Quelle “mystischer Erkenntnis”, nämlich der „Liebe Christi, die alles Sinnen und Denken übersteigt“ (Eph 3, 19). Umgekehrt ist das betende Nachsinnen die Voraussetzung für eine lebendige Feier, wenn diese nicht eine blosse “Insel” im Leben bilden oder in Ritualismus erstarren soll. “Die Eucharistie und ihre Gemeinschaft wird umso gefüllter sein, je mehr wir im stillen Beten vor der eucharistischen Gegenwart des Herrn uns selbst auf ihn bereiten und wahrhaft Kommunizierende werden” (Joseph Kardinal Ratzinger, 1978). Die Feier der Eucharistie ist Vereinigung mit Christus, im Heiligen Geist Hineingenommen-Werden in seine Hingabe an den Vater. Solche Kommunion vollzieht sich nicht einfach punktuell, sondern als Begegnung, die auf bleibende Verbundenheit zielt.

Die Oration des Fronleichnamsfestes erbittet die Gnade, “die Geheimnisse deines Leibes und Blutes so zu verehren, dass wir die Frucht der Erlösung in uns stets erfahren”. Das stille persönliche Gebet vor dem Tabernakel oder der ausgesetzten Hostie wird daher alle Dimensionen umfassen, die der Eucharistiefeier selbst eigen sind: Reinigung, Fürbitte, Lobpreis, Dank und Hingabe. So gehört die Bitte um Reinigung und Heiligung derer, die an der Kommunion teilnehmen, in allen Liturgien zum Kernbestand: Der Empfang “desselben Leibes, den die blutflüssige Frau berührte”, wird auch jetzt die Gläubigen heiligen. Die Jakobus-Liturgie sieht entsprechend der Vätertheologie das Sakrament nicht nur im Manna und im Passahlamm vorgebildet, sondern auch in der glühenden Kohle vom Altar, welche die Lippen des Propheten Jesaja reinigte. Darum hat das Gebet im Raum der eucharistischen Gegenwart auch diesen Aspekt: Verfeinerung des Gewissens; Erfahrung, der Reinigung zu bedürfen, und der Nähe, die überwältigende Gnade ist. Dadurch wird der Beter zunehmend freier von Verschlossenheit in sich selbst; er wird nicht nur mit eigenen Anliegen kommen, sondern in sein Beten die Fürbitte aufnehmen, in die Gesinnung Christi eintreten. Zu kommunizieren bedeutet ja, mit Christus vereint zu werden und mit all denen, die zu seinem “mystischen Leib” gehören. Diese Gemeinschaft ist nach der Messfeier nicht zu Ende. Darum ist das Gebet in der eucharistischen Gegenwart zwar ganz persönlich, aber nicht “privat”; die Kirche gehört in dieses Gebet wesentlich hinein, weil es kein Sakrament ohne diesen “Leib” gibt. Aber die Fürbitte weitet sich noch einmal; sie ist ohne Grenzen, weil die Sehnsucht Christi das Heil für alle Menschen will: “Dieses Opfer unserer Versöhnung bringe der ganzen Welt Frieden und Heil” (3. Hochgebet). Die Eucharistiefeier ist Dank, Preisung, erinnernde Gegenwärtigsetzung dieses Heiles, das Gott in der Selbsthingabe des Sohnes wirkt. Das gesamte Leben Christi (wie es etwa Hildegard von Bingen in ihrer Schau der Eucharistie sah: Scivias II, 6) und alle vorbereitenden Ereignisse der Heilsgeschichte sind hier eingeschlossen, können und sollen Gegenstand der Betrachtung werden.

Anbetung im eigentlichen Sinn ist die Haltung der Hingabe, die ein Geschöpf einzig Gott entgegenbringt: Seiner “Herrlichkeit” (vgl. „Gloria“) und unverletzlichen Heiligkeit. Ihr gebührt nicht nur Unterwerfung, sondern “Anbetung” – Anerkenntnis, dass Gott allein der Liebe, der Ehrfurcht und der Hingabe “würdig ist” (vgl. Offb 5, 9 ff.). Anbetung ist Übereignung der eigenen Person, Vereinigung. In der eucharistischen Anbetung tritt aber noch eine besondere Klangfarbe hinzu: “Engel und Erzengel stehen bebend vor ihm – und er wird von den Händen seiner Gläubigen getragen!“ Der Schauer, von dem die östlichen Liturgien künden, meint nicht nur ein Erschrecken vor der unsichtbaren Majestät, sondern vor allem vor der unbegreiflichen Demut Christi.

Vor dem Tabernakel braucht der Beter nichts zu leisten

Denn hier ist nicht einfach “Gott“ in besonders dichter Weise gegenwärtig, sondern der “Christus passus (et gloriosus)”, Christus mit seinem hingegebenen Leben. “Seht die Demut Gottes!”, rief Franziskus seinen Brüdern zu, um ihnen den ehrfürchtigen Umgang mit dem Sakrament ans Herz zu legen. Und Gertrud die Grosse beschreibt, wie sie zutiefst ergriffen wurde von der “Ohnmacht des Herrn”, die aus seinem sehnsuchtsvollen Verlangen nach der Liebe der Menschen komme. Schriftbetrachtung (lectio divina) und eucharistische Anbetung sind die beiden spezifischen Formen christlich kontemplativen Betens. Contemplatio, so definierte Thomas von Aquin, heisst: mit einem einfachen Blick auf die Wahrheit schauen, einem Blick gelenkt von der Liebe. Die Gegenwart, die hier vor Augen steht, ist nicht Frucht der Anstrengung des Denkens oder der Vorstellungskraft; sie ist “wirklich”.

Im jetzigen Leben ist es der Glaube, der in den Zeichen die Wirklichkeit sehen lässt. Dessen Wichtigkeit unterstreichen im Übrigen gerade Heilige, denen besondere mystische Erfahrungen zuteil wurden: Caterina, Teresa, Franziskus, Heinrich Seuse. Das Schauen richtet sich auf das “Angesicht”, die zugewandte Seite einer Person; damit ist eingeschlossen, sich selbst auch anschauen zu lassen – wie das Aufnehmen der sakramentalen Speise bedeutet: selbst aufgenommen zu werden. Der Mensch nimmt Christus als Gast auf, und dieser gibt ihm Heimat. So darf vor der ausgesetzten Hostie auch der Mensch es wagen, sich auszusetzen – “revelata mente” hinzutreten: ohne sein Inneres zu verbergen, und erleuchtet vom Glauben; wenn auch noch nicht “revelata facie”, weil die natürliche Sicht immer noch “gehalten” und das Sakrament eben verhüllte Wirklichkeit ist. Dass man zum Tabernakel kommen kann, zunächst einmal ohne eine “Leistung” bringen zu müssen, einfach um da zu sein, weil Er sich nicht entfernt, gleichgültig wie wenig Sammlung der Beter mitbringt, darin besteht wohl die besondere Anziehungskraft der eucharistischen Gegenwart.

Die bergende Ruhe und Kräftigung, die von der eucharistischen Gegenwart ausgeht, bezeugen etwa Edith Stein, Romano Guardini oder Teresa von Avila. Ähnlich hat dies auch Joseph Kardinal Ratzinger (1978) ins Wort gefasst: “Eucharistie bedeutet: Gott hat geantwortet […]. Dann beten wir im Raum der Erhörung, weil wir im Raum von Tod und Auferstehung beten, also dort, wo die eigentliche Bitte in all unseren Bitten erhört ist: die Bitte um die Liebe, die stärker ist als der Tod. […] In diesem Beten stehen wir nicht mehr vor einem erdachten Gott, sondern vor dem Gott, der sich uns wirklich gegeben hat […]. Solches Beten müssen wir neu suchen.”

Die in diesem Beitrag zitierten Texte sind grossteils entnommen aus: Geheimnisvolle Gegenwart. Eucharistische Gebete, St. Ottilien 2013.

Die Autorin spricht beim Eucharistischen Kongress zum Thema “Zur Theologie der eucharistischen Anbetung”
Ort: Maternushaus, Raum Dreikönigssaal, Kardinal-Frings-Strasse 1– 3
Beginn 16.30 Uhr.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel