Ich möchte die Menschen zum Glauben hinführen und ihnen helfen

Veröffentlichung des angefeindeten Hirtenbriefes auch auf Radio Maria oder Radio Gloria

Vitus Huonder, Churer Bischof, über “christliche Essentials”, Selbsthilfegruppen für wiederverheiratete Geschiedene und Priester als Seelsorger

Sonntagszeitung, 11.03.2012, Nadja Pastega und Stéphane Berney

Chur Bischof Vitus Huonder, Vorsteher des Bistums Chur, sorgt mit einem Hirtenbrief für Aufregung. Jetzt nimmt er erstmals dazu Stellung.

Herr Bischof, würden Sie sich als hart bezeichnen?

Nein. Ich will das auch nicht sein. Ich möchte die Menschen zum Glauben hinführen und ihnen helfen. Vielleicht wirkt das nach aussen manchmal hart.

Sie fordern in einem Hirtenbrief, dass Wiederverheiratete von den Sakramenten ausgeschlossen werden. Viele Pfarrer weigern sich, Ihren Brief zu verlesen.

Das kommt auch bei anderen Hirtenbriefen vor. Da greift der Bischof nicht ein.

Wir haben heute auch andere Möglichkeiten, den Hirtenbrief zu publizieren, sei es auf der Homepage oder über ein katholisches Radio wie Radio Maria oder Radio Gloria.

Was sagen Sie zum Vorwurf, Ihr Brief sei ein «gewaltiger Rückschritt».

Wenn die Wahrheit auf den Tisch kommt, ist das immer ein Fortschritt. Ich vertrete schlicht und einfach die Lehre der Kirche, diese ist zeitlos gültig.

Geschiedene, die nicht allein bleiben wollen, leben in Sünde?

Nach der Lehre der katholischen Kirche leben sie objektiv betrachtet in einer ungeordneten Situation. Was dies in ihrem Gewissen und vor Gott bedeutet, weiss nur Gott. Aber die Kirche muss sich an die von Christus überlieferte Lehre halten.

Können Sie sich vorstellen, dass die von Ihnen vertretenen Regeln auf Unverständnis stossen?

Beliebt waren auch die 10 Gebote nie, aber sie gehören zu den christlichen Essentials.

Befürchten Sie nicht, dass Ihre Aussagen zu noch mehr Kirchenaustritten führen?

Natürlich gibt es Menschen, die auf solche Hinweise negativ reagieren. Es gibt aber auch jene, die dankbar sind. Man muss leider in Kauf nehmen, wenn es zu Austritten kommt. Denn nochmals: Ich vertrete einfach die Lehre der Kirche. Ich kann nicht anders.

Viele Pfarrer finden, man solle auch Wiederverheirateten im Namen der Barmherzigkeit die Sakramente spenden.

Ich weise in meinem Brief auf das Bedürfnis einer Stärkung der Seelsorge für diese Menschen hin, das ist das Hauptanliegen in der Frage der Barmherzigkeit. Es gibt diesbezüglich zu wenig Angebote. Deshalb wurde im Hirtenbrief ein Blatt mit Referenzen gegeben. Man muss helfen, aber richtig!

Auf dem Blatt stehen Adressen von Selbsthilfegruppen …

Da ist einiges geschehen in den letzten Jahren. Wiederverheiratete Geschiedene haben Gruppen gebildet, die von Geistlichen geleitet werden. Sie sollen spüren, dass sie nicht abgelehnt werden.

Warum haben Sie das Thema der Geschiedenen gewählt?

Ich wurde in letzter Zeit vermehrt darauf angesprochen. Es ist ein brennendes Thema. Schliesslich ist die Ehe die Keimzelle unserer Gesellschaft.

Finden Sie, die Kirche in der Schweiz sei zu weich geworden und nehme sich zu viele Freiheiten von den Glaubensdogmen?

Ich stelle fest, dass in der Schweiz offenbar ein Riesendruck herrscht, gängige gesellschaftliche Standards auch in der Kirche zu übernehmen. Dabei hat sich die Kirche nie von der Mehrheit abhängig gemacht. Wir sind als römisch-katholische Kirche Teil der Weltkirche und keine Nationalkirche. Wir müssen auch gesellschaftliche, zeitbedingte Standards hinterfragen.

Heute wird in der Schweiz fast jede zweite Ehe geschieden. Die Kirche müsste umdenken.

Seit 2000 Jahren ist die katholische Kirche der Weisung Jesu gefolgt. Wenn sie gesellschaftlichen Trends nachlaufen würde, wäre sie nicht mehr römisch katholisch, sondern nur noch relativ katholisch.

Könnte es irgendwann zu einer Spaltung der katholischen Kirche in der Schweiz kommen?

Wir haben seit Jahren verschiedene Positionen. Das war schon immer so. Sie kommen jetzt vielleicht mehr zur Geltung. Ich habe keine Angst, dass es zu einer Spaltung kommt. Aber es gibt verschiedene Lager, das ist klar.

Welche anderen Sakramente sind bei Zweitehen verboten?

Es geht nicht um Verbote. Sakramente können im Gläubigen nur dann fruchtbar und wirksam werden, wenn sie gemäss dem Glauben der Kirche empfangen werden. Das gilt für alle Sakramente.

Zum Beispiel?

Die Beichte ist mit gewissen Auflagen verbunden. Es gilt immer, dass man den Zustand, der nicht geordnet ist, ändert. Hier gibt es bei wiederverheirateten Geschiedenen Probleme.

Haben Sie nicht geahnt, dass Ihr Hirtenbrief für Wirbel sorgen wird?

Ich war mir bewusst, dass es ein delikates Problem ist. Und dass man wahrscheinlich den ganzen Kontext vergisst und etwas herauspickt. Deshalb möchte ich betonen, dass man den Brief als Ganzes sehen muss. Wenn man dessen Anliegen versteht, hat man es auch nicht nötig, den Verfasser fertigzumachen.

Was passiert mit Pfarrern, die bei Zweitehen weiterhin die Sakramente spenden?

Es gilt die Regel, dass der Priester dem Gläubigen die Kommunion spendet, der hinzutritt. Er kann über die Verfassung der Person nicht urteilen. Er darf auch niemanden blossstellen. Es ist aber seine Aufgabe, im seelsorglichen Gespräch darauf hinzuweisen, unter welchen Bedingungen ein fruchtbarer Empfang der Kommunion möglich ist. Dazu braucht es, wie ich im Brief erwähne, besonderes Feingefühl. Diese seelsorgliche Haltung erwarte ich von den Priestern.

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