Epigraphische Spuren der ersten christlichen Gemeinde in Rom (1)
Interview mit dem Rektor des Päpstlichen Instituts für Christliche Archäologie, Prof. Danilo Mazzoleni
Urchristentum
Jerusalemer Urgemeinde
Teil 2
Rom, 27. Oktober 2014, zenit.org, Paul De Maeyer
Die christliche Gemeinde Roms zählt zu den weltweit ältesten. Tatsächlich richtete der Apostel Paulus bereits knapp dreissig Jahre nach dem Tod und der Auferstehung Jesu seinen zwischen 55 und 58 in Korinth verfassten Brief an die in der Stadt lebenden Christen. Doch wer waren diese ersten Christen in Rom? Was wissen wir von ihnen?
Um etwas über sie in Erfahrung zu bringen, führten wir ein Interview mit Prof. Danilo Mazzoleni, Rektor des Päpstlichen Institutes für Christliche Archäologie und Dozent für christliche Archäologie an der Universität “Roma Tre” sowie renommierter Experte für christliche Epigraphik, der Inschriftenkunde.
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Prof. Mazzoleni, womit beschäftigt sich die christliche Epigraphik?
Prof. Danilo Mazzoleni: Eine sehr treffende Definition der christlichen Epigraphik stammt von einer der bedeutendsten Persönlichkeiten innerhalb dieser Disziplin, Pater Antonio Ferrua: “Auge der Archäologie”. Es handelt sich um eine historische Wissenschaft, deren Untersuchungsgegenstand alle Auf- bzw. Inschriften von der zweiten Hälfte des 2. bis zum Beginn des 7. Jahrhunderts bilden, mit Ausnahme von Manuskripten und Münzen. Es bestehen ständige und vielfältige Beziehungen mit der profanen lateinischen und griechischen Epigraphik bis zum 4.-5. Jahrhundert. Ab diesem Zeitpunkt verschwanden heidnische Texte (vor allem Grabestexte) allmählich immer mehr.
Wovon wird ein heutiger Besucher bei der Lektüre der vielfältigen in den Katakomben Roms aufgefundenen Inschriften besonders beeindruckt?
Prof. Danilo Mazzoleni: Einen Nicht-Experten beeindruckt vermutlich die niedrige Qualität der auf den Grabsteinen sichtbaren grafischen Darstellungen, die grosse Unordnung, in der sich die eingravierten Buchstaben befinden, die Präsenz vieler (scheinbar nicht entwirrbarer) Abkürzungen, während verschiedene Bilder, die auf den Platten eingraviert sein können, wesentliche Züge aufweisen; ganz unabhängig davon, ob es sich um das Monogramm von Christus, den Anker, den Fisch, den Guten Hirten oder den Betenden handelt. Gewöhnlich interessierte christliche Auftraggeber nicht so sehr die ästhetische Gestaltung oder die Regelmässigkeit der Grafik, sondern vielmehr der Inhalt der eingravierten Texte, sodass aus darstellerischen Gründen eine symbolische Sprache verwendet wurde, die eine Besonderheit der christlichen Welt darstellt.
Die Grabesinschriften thematisierten oft den so genannte “dies natalis”. Ist es richtig, von eschatologischer Spiritualität zu sprechen?
Prof. Danilo Mazzoleni: Die häufige Anspielung auf den Tag des Todes, der für eine Wiedergeburt zum neuen Leben gehalten wird, ist eine der relevantesten Neuheiten für die christlichen Formeln im Vergleich zu den heidnischen. Zuvor war dies Angabe lediglich sporadisch, da die Erinnerung an sie im Allgemeinen für verhängnisvoll gehalten wurde. Um den Gedanken des “dies natalis” näher zu erläutern, wurde anstelle häufigerer Begriffe wie “depositus”, “recessit” oder ähnlichen Verben manchmal das Partizip “natus” verwendet, um mit dem irdischen Tod die Geburt der ewigen Seligkeit des Verstorbenen zu bezeichnen. In diesem Sinne kann sicherlich von eschatologischen Bezügen die Rede sein.
Die in den römischen Katakomben aufgefundenen Fresken stellen vor allem die Taufe und die Eucharistie dar. Handelt es sich dabei um eine in den Sakramenten wurzelnde eschatologische Spiritualität?
Prof. Danilo Mazzoleni: In Wahrheit sind Bezüge zur Taufe in der christlichen Epigrafik und in der Ikonografie zwar recht häufig, da sie die Taufe Christi oder andere biblische Szenen darstellen, in denen das Wasser das vorherrschende Element ist, doch im Falle der Eucharistie verhält es sich anders. Wichtige Anspielungen sind nur in zwei Inschriften sichtbar: die auf die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts und für die älteste christliche Inschrift gehaltene von Aberkios, dem Bischof von Hieropolis in Phrygien, und die mit dem 4. Jahrhundert datierte des Pettorius von Auton, die zum Teil einen Text aus der Zeit des Aberkios übernimmt. In der Folgezeit enthielten die Grabesinschriften keine sich auf das Eucharistiesakrament beziehenden Ausdrücke mehr. Parallel dazu erinnern die auf die erste Hälfte des 3. Jahrhunderts zurückgehenden malerischen Szenen der römischen Katakomben der Kirche der Heiligen Callixtus und Priscilla explizit an die Eucharistie, während diese Verweise später nur noch allgemeinere Anspielungen, beispielsweise auf das Wunder der Brotvermehrung, enthalten und nicht mehr belegt sind. Im Falle der anderen Sakramente sind wenige klare epigraphische Nachweise nur für die Firmung und das Busssakrament auffindbar. Insbesondere sei im Falle des Busssakramentes an etwa zwölf nicht römische und eher späte Grabsteine (vor allem aus dem V.-VI. Jahrhundert) erinnert.
Liefern die Inschriften auch Informationen zur sozialen Schicht der ersten Christen?
Prof. Danilo Mazzoleni: Ja. Sie stellen eine wirklich kostbare Quelle dar, um Rückschlüsse auf die verschiedenen Mitglieder der Gemeinschaft zu ziehen; insbesondere vom Höhepunkt des 4. Jahrhunderts, als sich die Gewohnheit, das Handwerk oder die im Leben verrichtete Arbeit anzugeben, flächendeckend ausbreitete. Diese Informationen können innerhalb des Textes ausdrücklich gegeben werden oder sind im übertragenen Sinn zu erschliessen wie im Falle eines Handwerkers, der Sarkophage aus einer Platte in den Katakomben der Heiligen Marcellino und Pietro (nun in Urbino) schnitzte. Ebenso verhält es sich mit einem Schlosser aus Aquileia. Bezüge zu allen sozialen Schichten können festgestellt werden; von den niedrigsten (Sklaven, kleine Handwerker und Händler) bis hin zu den höchsten (hohe Würdenträger aus dem Rang der Senatoren oder Ritter). Besonders bedeutsam ist die Attestierung von Gläubigen, die sich Aktivitäten in Zusammenhang mit dem Schauspiel widmeten (im Einverständnis unerbittlicher Autoren wie Tertullian), vieler Soldaten aller Korps und Grade (obwohl einige der Meinung sind, dass sämtliche Christen dagegen waren) und Frauen, die zweifellos bedeutsame Rollen bekleideten (beispielsweise in der griechischen Insel Kos eine Reederin von Schiffen oder die Verantwortliche eines grossen Bauernhofes), entgegen dem Gemeinplatz, dass sie nur kleinen Handel oder Handwerke betreiben konnten.
Auch Mitglieder bedeutender Patrizierfamilien gehörten daher der christlichen Gemeinde Roms an. Welche Rolle spielten sie in Bezug auf das Wachstum der Kirche in Rom?
Prof. Danilo Mazzoleni: Seit dem apostolischen Zeitalter gibt es Christen in Familien hoher Abstammung. Die Epigraphik, wenn auch später in der Geschichte, bietet in diesem Sinne eine sehr reichhaltige Dokumentation. Zu erwähnen ist auch, dass Exponenten des hohen Senatorenranges sich oft nicht mit bescheidenen Grabnischen zufrieden gaben, ohne wenigstens auf auffälliger bemalte und kostspieligere Stollen oder Arkosolia zurückzugreifen. Sicherlich war die Präsenz dieser Persönlichkeiten in den Gemeinden der Antike in vielerlei Hinsicht ein positives Element und diese waren die Akteure grosszügiger und karitativer Handlungen der Kirche gegenüber.
Welche Berufe wurden hingegen von den Angehörigen der untersten Schichten ausgeübt?
Prof. Danilo Mazzoleni: Gerade die Inschriften bieten in diesem Sinne eine sehr heterogene Dokumentation. Kleine Handwerker und Händler waren sicherlich häufig Gläubige. Belegt sind auch einige andernfalls unbekannte Handwerke wie der “Olympus elefantarius” in den Katakomben von Commodilla. Dieser arbeitete und verkaufte möglicherweise Objekte aus Elfenbein, wobei jedoch nicht auszuschliessen ist, dass er im Zirkus Elefanten dressierte. Ein weiteres Beispiel ist die “Leontia lagunara”; vermutlich eine Flaschenhändlerin nahe der Porta Trigemina (vorgeschlagen wurde auch, dass sie “laganae”, eine Art Beignets verkaufte). Im Übrigen sind viele Aktivitäten bekannt; von den Milchmännern, Wursthändlern, Bäckern, Fischverkäufern, Pferdehändlern und Schlossern bis hin zu den Herrenfriseuren und den Glasern.
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