Ukraine: Oleh, der Priester und Vater ukrainischer Soldaten

Der griechisch-katholische Priester Oleh ist seit dem Beginn der russischen Invasion in seiner Gemeinde in einem Vorort von Kyiv geblieben. Der Familienvater von drei Kindern, von denen eines Soldat an der Front ist, setzt seine doppelte Mission als Seelsorger und als Helfer für die Bedürftigsten und Vertriebenen fort. Er berichtet, wie der Krieg sein Leben, seine Familie und seinen Dienst erschüttert hat

Quelle

Xavier Sartre – Brovary (Ukraine)

Mit einem Lieferwagen in den Farben von Mudra Sprava (“Die gerechte Sache”), einer Wohltätigkeitsstiftung der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine, fährt der Priester durch die Straßen von Brovary, einer Gemeinde in den östlichen Vororten der Hauptstadt. Am Steuer sitzt Oleh Panchyniak, der Pfarrer der Gemeinde der Drei Heiligen Hierarchen. In der mit Rom verbundenen Kirche dürfen auch verheiratete Männer Priester werden. Mit einem runden, lächelnden Gesicht und einem dünnen, grauen Bart verteilt er zweimal pro Woche die rund 1.000 warmen Mahlzeiten, die von den Köchen von Mudra Sprava zubereitet werden, an fünf Sozialzentren in der Gemeinde und an ein Zentrum für Vertriebene aus den von der russischen Armee besetzten östlichen Regionen.

Mit seinem Lächeln und seinem Händedruck, mit dem er sich nach den Menschen erkundigt, insbesondere nach den älteren Menschen, die in den Gemeindezentren rund um die Uhr betreut werden, ist Oleh eine unverzichtbare Figur für die Pflege der Seelen und Körper in diesem Randgebiet der Hauptstadt. Seine Kirche, die vor kurzem inmitten von Wohnblocks errichtet wurde, ist wie so oft in der Ukraine ein Haus Gottes, ein Ort des Zuhörens und der Gastfreundschaft. Sie wurde auch zum Schutzraum vor russischen Bombenangriffen für die Bewohner des Viertels.

Drei Söhne

Oleh ist, wie die meisten griechisch-katholischen Priester, verheiratet und hat drei Söhne. Der älteste Sohn, Andriy, hat gerade sein Studium am Priesterseminar abgeschlossen. Die beiden anderen sind Zwillinge und 24 Jahre alt. Oleh junior ist Hauptmann in der ukrainischen Armee und Ausbilder in Lviv in der Westukraine. Der zweite, Nazar, wurde zum Militärdienst eingezogen und befindet sich derzeit an der Ostfront. Für Oleh bedeutet das innere Zerrissenheit. Wie geht er mit dieser Entfernung um, wie verändert diese Prüfung seine Beziehung zu Gott oder seine Art, das Evangelium zu leben? Wir trafen ihn nach einer seiner Solidaritätsfahrten in seiner Gemeinde in Brovary:

“Vor kurzem gab mein Sohn ein Interview, und als Vater und Priester war ich erstaunt, als ich seine Worte las: ‘Für mich war Gott vor dem Krieg da, er ist im Krieg da und er wird nach dem Krieg da sein’. Als ich diese Worte las, dachte ich, dass jemand das Interview manipuliert haben könnte, aber als ich die Leute fragte, die es geführt hatten, sagten sie mir, dass es sich um seine authentischen Worte handelte.”

Der Tod Andriys

Sein Sohn Nazar hat einen Freund an der Front verloren, sein Name war Andriy, erzählt Oleh. Sie hatten in der Stadt Rivne zusammen trainiert. Eigentlich sollte sein Sohn an dem Einsatz teilnehmen, bei dem Andriy getötet wurde. Und fügt an:

“Was passiert ist, ist, dass Andriy ihn ersetzt hat und dieser Mann gestorben ist. Nazar ruft mich ständig von der Front aus an und sagt: ‘Papa, denk daran, dass du einen vierten Sohn hast, für den du genauso beten musst wie für uns’. Ich bin Gott also dankbar und bete, dass er über meine Söhne und alle seine Söhne wacht, und ich bin dankbar, wenn sie sich an ihn erinnern.”

“Er ist nicht dorthin gegangen, um jemanden zu töten, sondern um zu beschützen.”

Einer seiner größten Wünsche sei es, dass sein Sohn als “neuer Mensch” von der Front zurückkehre, so der Priester:

“Er ist nicht dorthin gegangen, um jemanden zu töten, sondern um zu beschützen. Leider war er bereits an der Frontlinie und musste das Feuer eröffnen und auf Menschen schießen. Als er mich zwei oder drei Tage lang besuchte, setzten wir uns hin und er sagte: ‘Papa, ich habe es getan, ich habe jemanden erschossen’, und ich antwortete ihm: ‘Mein Sohn, du hast dich um deine Mutter, unser Land und alle, die hier leben, gekümmert’. Deshalb ist es mein größter Wunsch, dass diese Kinder als Menschen zurückkehren, als die Menschen, die ich vor dem Krieg gekannt habe.”

Vor zwei Wochen habe die Familie den 50. Geburtstag seiner Frau gefeiert, und niemandem stand der Sinn nach einem normalen Geburtstagsfest. Davor habe der Sohn Nazar angerufen und gesagt: ‘Mama, ich möchte, dass du eine Party feierst, weil ich in den Krieg gezogen bin, damit du glücklich sein kannst’, sagt Oleh. So habe er als Priester auch die Bibel von einer neuen Seite kennengelernt und predige dementsprechend anders als vor dem Krieg:

“Natürlich habe ich schon immer die Evangelien aufmerksam gelesen, und als Priester musste ich Kommentare zu den Evangelien ausarbeiten. Jetzt kommen mir diese Kommentare ganz spontan in den Sinn. Zum Beispiel war der Vers ‘Wer nicht sein Kreuz aufnimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig’ offensichtlich, ich konnte ihn gemäß den Kirchenvätern, gemäß der Lehre des Apostolischen Stuhls erklären, aber jetzt ist er für mich aktuell geworden, weil mein ganzes Volk dieses Kreuz trägt und Jesus Christus nachfolgt.”

Er treffe sich regelmäßig mit vielen Soldaten, weil die Gemeinde ihnen Hilfe schickt, und sie bitten ihm jeweils nur um eines: “Betet für uns. Wir werden zurückkommen und gemeinsam beten. Mit anderen Worten: Das Evangelium ist absolut lebendig geworden, und die Worte Jesu Christi, die er vor 2.000 Jahren gesprochen hat, sind aktuell und kraftvoll, sie geben unseren Jugendlichen und Gläubigen Halt.”

Wenn er mit den Freiwilligen spreche, sagten sie ihm, dass sie im Namen des Sieges handeln würden. Dass sie handeln würden, weil sie beweisen wollten, dass es etwas Gutes in der Welt gebe, so Oleh:

“Das gibt mir Inspiration und Kraft.”

“Das ist auch meine Motivation, aber es gibt auch noch etwas anderes: die Person Jesu zu zeigen. Das gibt mir Inspiration und Kraft. Denn Jesus sagt: ‘Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan’. Wenn wir beispielsweise die humanitäre Hilfe von Mudra Sprava verteilen und einer Person ein Paket mit Lebensmitteln überreichen – wir arbeiten hauptsächlich mit Binnenvertriebenen -, ist es unglaublich, die Freude in den Augen dieser Person zu sehen. Diese Menschen haben wahrscheinlich alles verloren: ihre Häuser… und manche haben ihre Familien verloren. Eine Frau aus Bachmut kommt hierher, und wenn wir ihr ein Paket geben, sehen wir ihre Rührung, weil sich jemand an sie erinnert. Das sind unvergessliche Momente, die uns dazu anregen, für sie den Dienst, den Jesus von uns verlangt, zu schaffen und zu leisten.”

vatican news – mg, 4. Dezember 2023

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