In der Fülle der Zeit
Ein Sakrament ist, wie wir im Katechismus gelernt haben, ein sichtbares Zeichen der Gnade, welches das bewirkt, was es bezeichnet
Von Michael Pakaluk, 2. Oktober 2022
Ein Sakrament ist, wie wir im Katechismus gelernt haben, ein sichtbares Zeichen der Gnade, welches das bewirkt, was es bezeichnet. Seine Wirksamkeit ist mit seiner Zeichenhaftigkeit verbunden. Wer das Zeichen untergräbt, untergräbt seine Wirkung (das gilt auch für wirksame natürliche Zeichen wie die eheliche Umarmung).
Mit dem Leiden unseres Herrn verhält es sich ähnlich. Die heiligen Kirchenlehrer sagen, dass es für Jesus ausgereicht hätte, einen einzigen Tropfen Blut zu vergießen, um alle Sünden der gesamten Menschheit zu vergeben – wenn er es so gewollt hätte. Doch er entschied sich aus freien Stücken, sein Leiden zu ertragen. Und warum? Wegen dem, was damit zum Ausdruck gebracht wurde.
“Um die göttliche Gerechtigkeit zu befriedigen“, schreibt der heilige Alfons von Liguori, „hätte es genügt, wenn er irgendeinen Schmerz erlitten hätte; aber nein, er wollte die schlimmsten Beleidigungen und die schärfsten Schmerzen ertragen, um uns die Bosheit unserer Sünden und die Liebe, mit der sein Herz für uns entflammt war, begreiflich zu machen“.
Wie ein Sakrament hat also auch die Passion den wesentlichen Aspekt eines Zeichens. Unser Herr hat sich aus freien Stücken dafür entschieden, dass unsere Erlösung durch dieses besondere Mittel vollzogen wird, das zugleich Ausdruck der Schwere der Sünde und der Tiefe der Liebe Gottes ist.
Aber um verständlich zu sein, brauchen Zeichen eine Sprache und einen Kontext. Hier stellt sich also eine interessante Frage: Welche Bedingungen waren notwendig, damit Gott ein solches Zeichen setzen konnte? Das ist gar nicht so einfach.
Nehmen wir an, Gott hätte unmittelbar nach dem Sündenfall von Adam und Eva ein Heilmittel für die Sünde schaffen wollen. Wie hätte er die Dinge von Anfang an in Ordnung bringen und gleichzeitig die richtigen Wahrheiten ausdrücken können?
Sicherlich mussten Adam und Eva die Schwere der Sünde verstehen. Sie betrachteten den Verzehr der Frucht als etwas Geringfügiges, vielleicht sogar Gutes („um Gott ähnlich zu werden“). Was die Liebe Gottes betrifft, so vermuteten sie – wie der Teufel andeutete –, dass Gott vielleicht nicht ihr Bestes im Sinn hatte. Was hätte Gott in diesem Moment tun können, um sie zu retten, gerade indem er ihnen half zu verstehen?
Er hätte Jesus Christus nicht gleich zu diesem Zeitpunkt schicken können. Wie wäre Jesus dann entstanden? Wenn er von Eva geboren worden wäre, hätte dies eher die Leichtfertigkeit der Sünde zum Ausdruck gebracht. Nehmen wir an, dass Jesus de novo geschaffen worden wäre, ein reifer Mensch, vielleicht wie Adam aus Lehm geformt. Aber warum hätten Adam und Eva dann jemals glauben sollen, dass dieses dritte Wesen, obwohl ihnen ähnlich, Gott war?
Und wie sollte es diesem neuen Wesen gelingen, für sie zu sterben? Wenn es sich selbst tötete, würde dies die falschen Dinge ausdrücken. Aber Adam und Eva schienen selbst nicht besonders geneigt zu sein, jemanden zu foltern oder zu töten. Wenn also Jesus für ihre Sünden sterben sollte, müsste Gott vermutlich de novo ein anderes Wesen erschaffen (das nicht Gott ist), das irgendwie sie selbst repräsentiert und die Aufgabe hat, ihn zu foltern und zu töten.
Die materielle und rationale Schöpfung an diesem Punkt – Adam und Eva und dann zwei weitere vernunftbegabte Geschöpfe, von denen das eine die Aufgabe hat, das andere zu foltern und zu töten, während das andere die Aufgabe hat, dies zu akzeptieren – würde, wenn sie überhaupt etwas zum Ausdruck bringt, lehren, dass Folter und Mord nun Teil der Schöpfung sind und dass Gott bösartig sein kann.
Verstehen Sie, worauf ich hinaus will? Wir halten es für selbstverständlich, dass die Passion des Herrn, wie sie durch ein Kruzifix dargestellt wird, eine Bedeutung hat. Aber nur durch so etwas wie ein Wunder, oder viele Wunder, ist das möglich. Dieses Wunder – dass die Passion etwas bedeutet und dass ihre Bedeutung selbst Gottes Werk ist – haben Millionen von Bekehrten intuitiv gespürt, welche die göttliche Macht bereits in Jesus Christus, dem Gekreuzigten, erkannt haben.
Wenn das, was mit Jesus geschieht, etwas über uns aussagen soll, muss er einer von uns sein: Er muss von einer Frau geboren werden, und zwar so, dass er einen neuen Anfang macht. Wenn es etwas über die Schwere der Sünde aussagen soll, muss das, was ihm widerfährt, ein deutlicher Ausdruck unserer Sünde sein.
Aber da Sünde bedeutet, auf Abwege zu geraten, muss er gefoltert und getötet werden, weil alles Gute und Starke an uns auf Abwege geraten ist – unser bester Ausdruck der Verwaltung (Rom), unser bester Ausdruck des Priestertums (Judentum), unser bester Ausdruck des Beifalls des Volkes (die Festgemeinde), unser bester Ausdruck der Freundschaft (seine Jünger).
Um etwas über Gottes Liebe auszudrücken, muss er als Gott identifizierbar sein. Er muss in eine Tradition gestellt werden, die für Gott unaussprechliche Zeichen wie den Namen „Ich bin“ und unaussprechliche Taten Gottes wie Vergebung und Rettung (das Osterlamm) geschaffen hat. Um die höchste Form der Liebe auszudrücken, muss es eine echte Hingabe seines Lebens für uns sein. Das heißt, er muss bereit sein, den Tod zu erleiden, ohne ihn zu überstürzen oder rücksichtslos herbeizuführen.
Und dann muss das Ganze auch noch „wie ein Zeichen“ dargestellt werden. Nicht immer ist das der Fall. Wenn ich meinen Zeige- und Mittelfinger aus Versehen oder im Dunkeln trenne und ein V forme, kann ich nicht „Sieg“ oder „Frieden“ anzeigen. Wenn ich dies aus Versehen tue, obwohl es gut sichtbar ist, ist es noch kein Zeichen – jemand muss sehen, dass ich die Absicht habe, etwas zu vermitteln.
Und versuchen Sie einmal, sich als Verrückter von der Obrigkeit hinrichten zu lassen, dann werden Sie sehen, ob es Ihnen gelingt, überhaupt etwas zu „sagen“. Ein weiteres Wunder also: Die Kreuzigung fand in der kurzen Zeit statt, in der die große weltliche Macht Roms und die große geistliche Macht Israels an einem Ort zusammentrafen. Und ein weiteres Wunder: Es war an Rom, die letzte Bedingung und Besiegelung zu schaffen.
Jesus wurde nicht einfach gekreuzigt, sondern öffentlich gekreuzigt, „unter Pontius Pilatus“. In der „Fülle der Zeit“ machte Pilatus durch die Verwendung dieser drei großen Bedeutungsinstrumente – Griechisch, Hebräisch und Latein – in einem öffentlichen Akt allen klar, dass dieser Tod des Königs der Juden ein Zeichen sein sollte.
Der Autor, Michael Pakaluk, lehrt an der „Catholic University of America“ in Washington, D.C.
Übersetzung des englischen Originals mit freundlicher Genehmigung von “The Catholic Thing“.
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln allein die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht die der Redaktion von CNA Deutsch
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