Papst Franziskus
Das war 2020 mit Papst Franziskus: Eine Bilanz
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Papst Franziskus bei Christmette: Das Leben umarmen
Papst Franziskus: 2020 in 12 Klicks
Von Querida Amazonia bis Fratelli tutti, von Corona bis Reform: Wie das Jahr 2020 für Papst Franziskus und den Vatikan war, ergründen wir in einem bilanzhaften Kollegengespräch.
Alles in allem: Wie war das Jahr 2020 für Papst Franziskus?
Gudrun Sailer: 2020 war für Papst Franziskus und den Vatikan ein herausforderndes Jahr. Darin unterscheidet sich der Vatikan für einmal nicht vom Rest der Welt. Die Corona-Pandemie und ihre Folgen hat das meiste andere überlagert. Franziskus hat bereits früh begonnen, an das Nachher zu denken, und er hat das getan mit dem ihm typischen Blick auf die Menschen, die am Rand stehen. Und mittendrin hat er sich natürlich auch als Kirchenoberhaupt für die katholischen Gläubigen auf der ganzen Welt bewähren müssen, als spiritueller Ankerpunkt in dieser Krisenzeit.
Wie hat der Papst das angestellt, eine geistliche Orientierung zu bieten, wenn wir auf diese Monate zurückblicken?
Gudrun Sailer: Eines vorweg, das war in dieser Dichte nur möglich, weil die technischen Möglichkeiten so gut wie nie zuvor in der Geschichte sind. Da hat es sich bewährt, dass der vatikanische Medienapparat, also: wir, technologisch auf der Höhe der Zeit sind und alles auf allen Kanälen übertragen konnten, was Papst Franziskus als Botschaft in die Welt gesandt haben wollte, Wort, Text, Video. Ganz zentral waren die Morgenmessen aus Santa Marta. Franziskus hat entschieden, sie ab Anfang März täglich zu zelebrieren und per Livestream alle, die wollen, daran teilhaben zu lassen. Jeden Tag in voller Länge, mit Predigt, mit Übertragung auch auf Deutsch. Dabei haben die Ängste und Hoffnungen von Gläubigen und der Trost in dieser Situation einen starken geistlichen Anker gefunden. Daneben hat der Papst mehrfach zu weltweitem Gebet für ein Ende der Coronapandemie aufgerufen, ein Aufruf war sogar interreligiös.
Und uns allen in Erinnerung ist diese Andacht vom 27. März, Freitag in der Fastenzeit, als der Papst allein auf dem leeren Petersplatz ein Ende der Corona-Pandemie erfleht hat, am Ende der Stadt und der Welt den eucharistischen Segen Urbi et Orbi gespendet hat. Für viele, die das gesehen haben, war das die eindrucksvollste Andacht aus Rom seit Menschengedenken. Es war leichter Nieselregen, der Platz nass und leer, das Wasser tropfte von dem Pestkreuz, das der Papst mit dabei haben wollte: sehr eindringliche Bilder. Wenn wir in 20 Jahren zurückdenken an 2020 und Corona, dann gehören diese Bilder mit dem Papst mit dazu.
„Franziskus hat eine ganze Menge in Solidarität veranlasst“
Nun war und ist ja auch die materielle Not in der Corona-Pandemie gross, was hat der Papst, was hat der Vatikan getan, um die zu lindern?
Gudrun Sailer: Franziskus hat eine ganze Menge in Solidarität veranlasst: einen Corona-Hilfsfonds für Menschen in Entwicklungsländern, einen anderen für Roms Arbeitslose – woran sich auch zeigt, dass der Papst sich selbst sehr als Bischof von Rom begreift. Sein Almosenpfleger Kardinal Krajewski ist ohnehin dauernd im Einsatz, um den Obdachlosen beizustehen, die in Rom – wie wohl überall auf der Welt – unvorstellbar hart von den Corona-Massnahmen getroffen sind. Caritas Internationals hat einen Corona-Hilfsfonds eingerichtet und auch die Ostkirchen-Kongregation. Und Franziskus hat nach und nach einige Hundert Beatmungsgeräte für Krankenhäuser in armen Ländern gespendet. Aber mindestens genauso wichtig wie diese konkreten Werke der Nächstenliebe war es dem Papst, das Terrain vorzubereiten für das, was da inhaltlich jetzt kommen muss, das, was sich jetzt verändern muss.
„Das Stichwort ist Geschwisterlichkeit“
Was muss denn jetzt inhaltlich kommen?
Gudrun Sailer: Papst Franziskus hat das Corona-Jahr 2020 dazu genutzt, nochmals gesammelt festzuhalten, wie er sich als Kirchenoberhaupt die soziale Verantwortung auf der Welt füreinander denkt – eine Verantwortung, die von unserer aller Kind-Gottes-Sein herrührt. Das Stichwort ist Geschwisterlichkeit. Ein Wort, das immer mehr zu einem Kernwort seines Pontifikats überhaupt wird, es ist sozusagen an die Seite von Barmherzigkeit getreten. Franziskus hat in diesem Jahr seine „zweieinhalbte“ Enzyklika vorgelegt, die erste war nur zur Hälfte von ihm, die andere Hälfte noch von seinem Vorgänger Benedikt XVI. Die zweite war „Laudato Si“, auch eine Sozialenzyklika, und die dritte, die 2020 herauskam, „Fratelli tutti“. Geschwisterlichkeit ist die Erkenntnis, dass Menschen füreinander verantwortlich sind. Was also Christsein heisst und ist, das erschliesst sich im Blick auf die Wirklichkeit der Verletzlichsten, der Unsichtbarsten. In „Fratelli tutti“ regt der Papst Gläubige und alle Menschen guten Willens dazu an, die Welt so zu denken, dass jeder auf der Welt mein Bruder, meine Schwester ist. Und das soll das neue Kriterium unseres Handelns sein, auch unseres politischen Handelns.
Eine politische Enzyklika?
Gudrun Sailer: Eine Sozialenzyklika. Im Unterschied übrigens zu dem anderen grossen Dokument, das der Papst 2020 veröffentlicht hat, nämlich „Querida Amazonia“, das nachsynodale Schreiben zur Amazonien-Synode. Das ist ein vielschichtiges Lehrschreiben, bei dem in Europa reflexhaft aufgefallen ist, dass der Papst sich zu bestimmten Themen wie verheiratete Priester und Diakoninnen gar nicht äussert, das hat er einfach ausgespart, Franziskus hat hier kein Machtwort gesprochen, weder in die eine noch in die andere Richtung.
Das Grossthema Missbrauch in der Kirche
Wie fällt die Vatikan-Bilanz in Sachen Kampf gegen Missbrauch 2020 aus?
Gudrun Sailer: Im Februar hat Papst Franziskus eine Task Force eingerichtet, die nationale Bischofskonferenzen beim Erstellen von Kinderschutz-Leitlinien unterstützen soll – genau ein Jahr nach dem grossen Kinderschutzgipfel im Vatikan vom Februar 2019. Sehr beschäftigt hat den Vatikan der Freispruch für gleich zwei Kardinäle, die des Missbrauchs bzw. der Vertuschung von Missbrauch angeklagt waren: Kardinal Barbarin von Lyon und Kardinal Pell, der frühere vatikanische Schatzmeister. Beide sind damit quasi rehabilitiert. Was nicht heisst, dass man jetzt mit Verweis auf zwei Freisprüche die Zügel locker lassen kann. Das hat der spektakuläre Report zum Fall McCarrick gezeigt, den der Vatikan in zweijähriger Arbeit erstellt und kürzlich veröffentlicht hat. McCarrick hat Seminaristen, junge Priester und in einigen Fällen auch minderjährige Jungen missbraucht. Es ging darum, wer wann was darüber wusste, auch im Vatikan. Der Report wirft ein schlechtes Licht auf Teile des US-Episkopates. Papst Johannes Paul II., so steht es in dem Bericht, hat McCarrick geglaubt, wurde von dem Amerikaner also belogen, und hat ihm auch deshalb so leicht geglaubt, weil im kommunistischen Polen Priester mit gegenstandslosen Missbrauchsvorwürfen gezielt angeschwärzt worden waren.
A propos Johannes Paul II., sein 100. Geburtstag fiel in dieses Jahr.
Gudrun Sailer: Papst Franziskus hat am 18. Mai eine Messe am Grab des polnischen Papstes gefeiert, im kleinsten Rahmen wegen Corona. Sowohl Papst Franziskus als auch sein Vorgänger Benedikt XVI. würdigten den früheren Papst als prägende Gestalt weit über die Kirche hinaus. Benedikt XVI. feierte am 16. April seinen 93. Geburtstag, überschattet von der Corona-Krise, auf Besuche musste der emeritierte Papst verzichten. In diesem Jahr ist auch die grosse Benedikt-Biografie von Peter Seewald erschienen. Das Buch enthält ein Interview, in dem der 2013 zurückgetretene Papst die Motive und Bedeutung seines Amtsverzichts erklärt – für alle, die damit eventuell immer noch hadern, Benedikt XVI. hadert ja zum Glück nicht mit seiner Entscheidung.
Papstreisen sind in diesem Jahr 2020 unterblieben, wegen Corona. Hatte Franziskus wichtige Botschaften an bestimmte Länder?
Gudrun Sailer: Das Wichtigste, was hier zu nennen ist, ist sicherlich China. Keine Botschaft, sondern ein Abkommen – das vorläufige Abkommen zur gemeinsamen Ernennung von Bischöfen in China wurde um zwei Jahre verlängert. Das ist eine dornige Sache, aber aus Sicht des Heiligen Weges der einzige Weg, eine Kirchenspaltung zu vermeiden.
Manche meinen ja, in Deutschland bahne sich mit dem „Synodalen Weg“ ebenfalls eine Kirchenspaltung an, sieht Papst Franziskus das auch so?
Gudrun Sailer: 2019 hat Franziskus aus eigenem Antrieb den Gläubigen in Deutschland einen Brief geschrieben. Er ist in der Tat ein wenig in Sorge um die katholische Kirche in Deutschland, man hat das auch an mancher Randbemerkung über gute und schlechte Reformen gemerkt in diesem Jahr; es waren auch auffallend viele deutsche Bischöfe 2020 bei Papst Franziskus, um sich mit ihm auszutauschen. Dann kamen auch zwei Instruktionen aus Rom, die in Deutschland nicht gerade erfreut zur Kenntnis genommen wurden, die eine zum Thema Pfarreien, die andere zum Thema Abendmahl, in beiden Fragen hat Rom geboten, einen Gang zurückzuschalten. Im Grossen und Ganzen steht Franziskus dem Synodalen Weg und überhaupt dem Vorhaben Reform der katholischen Kirche sicherlich nicht ablehnend gegenüber, er mahnt ja selber dauernd Reformen an. Aber eine solche Reform muss immer zum Ziel haben, das Evangelium besser zu verkünden. Über die Wege dazu gibt es manche Auffassungsunterschiede, aber auch Übereinstimmungen zwischen Deutschland und Rom.
vatican news, 27. Dezember 2020
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