Michelangelos Befreiung der Bilder unter dem Finger Gottes

Petrus, Propheten, Provokationen                   UPDATE

KathTube: Vesper Papst Benedikt Sixtina, 31. Oktober 2012

Vor 500 Jahren wurde die Sixtinische Kapelle im Vatikan eingeweiht. Bis heute gibt Michelangelos Bilderzyklus zu kontroversen Deutungen Anlass. Von Paul Badde / Die Welt

Vatikanstadt, kath.net/Die Welt, 1. November 2012

Den Ruhm als grösster Künstler aller Zeiten hat sich Michelangelo Buonarotti wohl in den Jahren zwischen 1508 bis 1512 erworben, als er in Rom – unbequem hoch oben auf einem Gerüst liegend – dieDecke der Sixtinischen Kapelle mit kräftigen Pinselstrichen ausmalte.

Er war 35 Jahre alt. Den Petersdom nebenan, wie wir ihn heute kennen, gab es noch nicht. Da stand noch die alte Basilika, die Kaiser Konstantin um 324 hatte errichten lassen. Erst zwei Jahre vor Beginn der Ausmalung der Decke der Kapelle von Papst Sixtus IV., war am 6. April 1506 mit dem Neubau der Petersbasilika als grösstem Gotteshaus der Christenheit begonnen worden.

Doch gleich nach der Grundsteinlegung unter dem ersten der vier Pfeiler für die von Michelangelo geplante gigantische Kuppel hatte auch schon die heftige Kritik an dem Unternehmen begonnen – vor allem wegen der raffinierten Finanzierungsmethoden des Mammutprojekts durch den Ablasshandel.

Der Augustinermönch Martin Luther befand sich um 1511 zum Studium in Rom. Es war eine Zeitenwende, in der sich Michelangelo hier verwirklichte. Er war ein Universalgenie, wie es nach ihm vielleicht kein zweites mehr gab.

Julius II. hatte ihm den Auftrag zu der Ausmalung der Kapelle seines Vorgängers gegeben, die sich der Papst als eine Art Bilderbibel auf der höchsten Höhe der Zeit vorstellte. Julius II. war ein Renaissancepapst, wie er im Buch stand. Sein Verlangen an den Künstler aber, da oben vor allem eine Verherrlichung der Apostel und seiner Nachfolger zu verewigen, lehnte Michelangelo brüsk ab. Schon das war unerhört.

Unerhörter Akt künstlerischer Emanzipation

Denn mit dem Auftrag sollte der Künstler ja noch einmal die Legitimation des Papsttums bebildern, das sich ja ganz und ganz von der Nachfolge des Apostels Petrus herleitete, den Jesus höchstpersönlich als “Kephas”, als “Petros”: als Felsen bezeichnete.

Dieser Fels war auch nach dem Verständnis der allerweltlichsten Päpste das Fundament, auf dem die katholische Kirche ruhte. Und dazu mussten sich doch wirklich gewagte neue Bildideen entwickeln lassen, erst recht von einem anerkannten Genie wie Michelangelo! Zudem bestimmte damals noch ganz selbstverständlich der Auftraggeber das Programm, das der Künstler danach zu malen hatte.
Es war also ein unerhörter Akt künstlerischer Emanzipation, von dem die Decke der Sixtina zeugt. Denn von dem Apostelfürsten Petrus, dem Felsen und Fundament, und den anderen Aposteln ist an der Decke nichts zu sehen, und erst recht nichts von Päpsten. Das konnte sich nur Michelangelo leisten. Noch unerhörter war aber, welche Bildfolgen er danach – autonom wie kaum ein Künstler zuvor – an die Decke zauberte.
Deshalb ist auch viel gerätselt worden, was die in jeder Hinsicht ungewohnten und unorthodoxen Bilder wohl im einzelnen und in ihrem Zusammenhang bedeuten mochten, und ihre oft revolutionäre Abweichung vom Vorbild der damals meist strikten Vorgaben des Kanons der biblischen Bilderfolgen. Alles schien an dieser Decke aus der Hand Michelangelos anders.

Der Ort des Konklaves

Nach dem Tod jedes Papstes wird diese Kapelle (im “Konklave”) abgeschlossen, damit von den Kardinälen hier in geheimer Wahl der nächste Nachfolger Petri ermittelt wird. Ein Ruhm der Kirche der Apostel, wie der Papst es sich gewünscht hatte, war es aber gerade nicht, was Michelangelo über den Häuptern der Kardinäle an die Decke bannte.

Am 1. November 1512 – vor 500 Jahren – wurde sein Meisterwerk feierlich enthüllt und verblüffte sofort alle Zuschauer und Betrachter. Der Auftrag aber, den der Künstler sich an Stelle des Papstes selbst gegeben hatte, hat seitdem Generationen von Gelehrten zu immer neuen Deutungen herausgefordert.

Manchen kam es vor, als habe er hier oben einen Satz aus dem 4. Kapitel im Brief des Apostels Paulus an die Epheser umgesetzt, wo es heisst: “Und Christus gab den einen das Apostelamt, andere setzte er als Propheten ein, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, für den Aufbau des Leibes Christi. Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten. Er, Christus, ist das Haupt.”

Dieser Deutung schliesst sich in unseren Tagen auf unorthodox genialische Weise der Psychiater Manfred Lütz an, der gerade ein Buch über “Die Fälschung der Welt” vorgelegt hat und in Michelangelo in der Sixtina nicht nur einen Meister der Bilder, sondern auch einen Diener der Wahrheit erkennt. Denn er sieht den Künstler hier selbst in der Nachfolge der Propheten – und sein innovatives Bildprogramm an der Decke als eine “einzige Provokation”.

Der Künstler mahnt den Papst

“Er pries hier oben nicht die Kirche,” sagt der Arzt und Bestsellerautor, “sondern er mahnte sie. Er mahnte den machtbewussten Papst, die ungeistlichen Kardinäle, all die, die Tag für Tag in dieser Kapelle Messe feierten, dass Christus das Zentrum von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sei.

Denn nicht die Schöpfungsgeschichte malte er an die Decke, wie die Reiseführer meinen. Es ist der Anfang des Johannesevangeliums, der an der Decke der Sixtinischen Kapelle Gestalt gewinnt: ‘Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort… und durch das Wort ist alles geworden.’ Durch den Logos, Christus, ist alles geworden.”

Sein Kommen würden deshalb da oben auch die jüdischen Propheten und die heidnischen Sibyllen visionär erblicken, in gewaltigen Gestalten, in denen sich alle Ahnungen und Sehnsüchte der Menschheit verdichteten. Und ihre Ahnung gehe nicht ins Leere. Zwischen ihnen spiele sich die Schöpfung ab und in der Mitte der Schöpfung die Erschaffung des Menschen. Gott sei die Mitte, Christus das Thema dieses Meisterwerks, in dem die Kirche gar nicht vorkomme.
Im Zentrum der Christenheit sei die sixtinische Decke also ein Ruf gewesen, zum Wesentlichen – zu Christus – zurückzukehren in einem höchst dramatischen historischen Augenblick. Exakt fünf Jahre nach der Enthüllung der Decke eröffnete Dr. Martin Luther im fernen Wittenberg am 31. Oktober 1517 mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen die Reformation, der während der Arbeit Michelangelos an der Decke noch in Rom geweilt hatte.

Rückbesinnung auf die Reinheit der Kirche

Von dem Bildprogramm des Meisters und seinem Aufruf zur Rückbesinnung und zu einer Reinigung der Kirche von allzu viel Diesseitigem und zu einer neuen Konzentration auf Christus wird er allerdings nicht das Geringste mitbekommen haben.
Wahrscheinlich hätten dem theologischen Genie dafür auch ganz einfach die Antennen und der Blick gefehlt, selbst wenn Michelangelo den deutschen Augustinermönch mit zu sich auf das Gerüst genommen hätte. Der Blick des Doktors war wohl auch schon damals ganz und gar auf die Buchstaben fixiert.

Denn natürlich ist hier oben zudem und zuerst die Schöpfungsgeschichte dargestellt und nicht Christus. Doch heute müssen wir tatsächlich weiter fragen, was denn daneben – neben Gott und dem ersten Menschen – die Sibyllen und Propheten sollen, die mit der Schöpfung doch eigentlich doch gar nichts zu tun haben?

Was sie verbindet, ist tatsächlich nur ein einziges: Sie haben, die einen aus dem Judentum, die anderen aus dem Heidentum, Christus vorausgesagt. So weist diese Schöpfungsgeschichte aus der Hand der Michelangelo tatsächlich zentral auf Christus hin, durch den – nach Johannes – die ganze Schöpfung geworden ist.

Das Wort würde immer sein

Statt der Protagonisten der Kirche und seiner Päpste und Heiligen – wie Papst Julius II. sie hier oben gern gesehen hätte, hat Michelangelo also tatsächlich Christus als Sehnsucht aller Völker in der Sixtina verewigt, und das Wort, “das am Anfang war”, von dem der französische Skandalautor Roger Peyrefitte 1953 in seinem Schlüsselroman zu Sankt Peter noch schrieb:
“Das Wort war, und das Wort würde immer sein. Es war dies Wort, das die katholische Religion gebildet hatte und das sie weiter durch die Jahrhunderte tragen würde. Es war dies Wort, das Märtyrer und Heilige gemacht, Kirche und Päläste errichtet, Könige gekrönt und abgesetzt, Völker befreit und unterworfen, dem Frieden und dem Krieg gedient hatte. Es war dies Wort, dessen Gewicht die meisten Staaten anerkannten, selbst wenn sie seine Autorität ablehnten, denn sie entsandten ihre Vertreter und gaben den seinen den Vorrang vor allen anderen.”

Hier – bei Michelangelo aber – ist dieses Wort noch ganz bei Gott.

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