Papstinterview
Papstinterview: „Welt braucht Revolution der Zärtlichkeit“
Wie sich die Kirche der Zukunft ändern muss, wie die Barmherzigkeit an die Herzen und Gewissen der einzelnen und der Staaten appelliert, der Götzendienst am Geld und die Aufmerksamkeit für die Ärmsten: In einem ausführlichen Interview blickt Papst Franziskus auf das Heilige Jahr zurück, das unter dem Thema Barmherzigkeit stand. Das Interview wurde vom katholischen Fernsehsender TV2000 und vom Radiosender der italienischen Bischöfe, Radio InBlu, an diesem Sonntagabend ausgestrahlt, erste Teile waren aber schon am Sonntagmittag auf Sendung gegangen.
Eine Bilanz wolle er nicht ziehen, so der Papst. „Ich kann nur von dem Berichten, was ich aus der ganzen Welt erfahren habe, etwas sagen. Die Tatsache, dass das Heilige Jahr nicht nur in Rom, sondern in allen Bistümern der Welt gefeiert wurde, hat dieses Heilige Jahr universaler gemacht. Und das hat uns gut getan, ja, das hat uns gut getan.“ Papst Franziskus zog eine Linie für das Thema, das er für das Jahr gewählt hatte, von Papst Paul VI. über Papst Johannes Paul II. bis heute. „Es ist eine kirchliche Linie, auf der die Barmherzigkeit nicht wiederentdeckt wurde, weil sie ja immer da war, aber auf der sie deutlich verkündet wurde, wir brauchen sie, sie ist notwendig. In einer Welt, die an der Krankheit des Wegwerfens leidet, am Zuschließen des Herzens, am Egoismus, tut das gut.“
Damit war der Papst bei dem Gegensatzpaar angekommen, welches das gesamte Jahr über – und auch schon vorher sein Pontifikat – wesentlich geprägt hat: Die Barmherzigkeit und die Krankheiten der Menschheit. Immer wieder wählt der Papst medizinische Metaphern, um die Schwächen von Menschen und Gesellschaft zu charakterisieren, in diesem Interview war es die „Kardiosklerosis“, also so etwas wie Herzverhärtung.
Medizin Barmherzigkeit
„Ich denke, dass die Barmherzigkeit so etwas wie Medizin gegen diese Krankheit der Herzverhärtung ist“, so der Papst, „einer Krankheit, die der Wegwerfkultur zu Grunde liegt.“ Menschen, die nicht mehr nützten oder Städte in einem Krieg, in denen unterschiedslos gebombt würde, das seien alles Anzeichen dieser Wegwerfkultur, Menschen würden weggeworfen. „Das Billigste, heute, ist das Leben“, zitierte der Papst auf Deutsch einen früheren Gesprächspartner. „Denken wir an diesen dritten Weltkrieg, in dem wir leben, denn es ist ja ein dritter Weltkrieg in Stücken. Wir sind im Krieg, Waffen werden verkauft, von Herstellern und Händlern, und sie werden an beide Parteien in den Kriegen verkauft, weil das ja Gewinn bringt. Die Welt braucht aber eine Revolution der Zärtlichkeit.“ Hier setze die Barmherzigkeit ein, gegen die Verhärtungen, gegen „die Unfähigkeit, Zärtlichkeit zu spüren, sich zu nähern. Das harte Herz.“
Die Versuchungen des Papstes
Diese Barmherzigkeit beginne bei jedem selbst und müsse sich gegen viele Versuchungen durchsetzen. „Das Leben der Menschen ist ein Kampf, es ist kämpfen, um den Versuchungen zu widerstehen.“ Das gelte auch für ihn selber, „die Versuchungen des Papstes sind dieselben Versuchungen aller Menschen“, antwortete er auf die Frage, was für Sünden er bei sich selber entdecke, da er ja oft davon spreche, dass auch der Papst ein Sünder sei. „Da sind die Ungeduld, der Egoismus und ein wenig auch die Trägheit“, zählte er auf.
Dieser Streit finde aber nicht nur im Einzelnen oder der Menschheit als Ganzer statt, auch die Kirche müsse sich dem stellen. Gefragt danach, wie die „arme Kirche für die Armen“, von der er oft spreche, möglich sei, verwies er auf genau diesen Konflikt. „Die Kirche als Institution machen wir, jeder von uns.“ Und das verweise schon auf den Konflikt, denn es gebe einen Feind, „der größte Feind ist das Geld,“ so der Papst. „Jesus hat dem Geld den Status eines Herrn verliehen, eines Patrons, als er gesagt hat, dass niemand zwei Herren dienen könne, Gott oder dem Mammon.“ Ganz deutlich nenne Jesus das Geld. Dass es ein Feind sei, dass könne man in der Welt, die anscheinend vom Geld regiert wird, auch sehen. „Wir müssen für eine arme Kirche für die Armen, für eine dem Evangelium gemäße Kirche kämpfen, nicht wahr, wir müssen kämpfen.“ Wie bei der Herzverhärtung gelte der Kampf auch hier den Versuchungen.
Das Heilmittel der Barmherzigkeit, die Revolution der Zärtlichkeit, das alles soll helfen, in diesem Kampf gegen das Wegwerfen und gegen die Herz-Verhärtung bestehen zu können, als Einzelner, als Kirche und als Menschheit.
(rv 21.11.2016 ord)
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