Häftlinge und Obdachlose im Vatikan

Häftlinge und Obdachlose im Vatikan: Barmherzigkeit über alles

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Erst Häftlinge, dann Obdachlose: Papst  Franziskus begegnet zum Ende des Heiligen Jahres zwei Kategorien von Menschen, die ihm ganz besonders am Herzen liegen, und feiert mit ihnen die Heilige Messe im Petersdom. Am 6. und am 13. November ist es soweit. Erzbischof Rino Fisichella ist als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung der päpstliche Chef-Organisator des Heiligen Jahres und bereitet gerade diese beiden besonderen Jubiläen vor, jenes der Strafgegangenen und jenes der Obdachlosen. Im Gespräch mit Gudrun Sailer resümiert Fisichella:

Fisichella: „Das Jubiläum der Häftlinge am 6. November wird nicht einfach im Gefängnis begangen, sondern es sind die Gefangenen, die hier in Rom ihr Jubiläum feiern werden, mit ihren Familien und der ganzen Realität rundherum: mit den Vereinen, den Freiwilligen, mit der Polizei, mit den Gefängnisseelsorgern. Dieses Zusammenseins soll begreiflich machen, dass die Barmherzigkeit nicht vor der Gerechtigkeit haltmacht. Im Gegenteil: die Barmherzigkeit geht über die Gerechtigkeit hinaus. Wenn man ins Herz schaut, in die Tiefe der Menschen, sucht die Barmherzigkeit auch die Wiederherstellung jedes Menschen, die Rückführung, die Wiedereingliederung in das soziale Leben. Das hat Papst Franziskus oft gesagt. Viele Häftlinge schreiben ihm persönliche Briefe, die tiefe Dankbarkeit ausdrücken.“

RV: Am 11. November dann: das Jubiläum der Obdachlosen. 6.000 Menschen ohne festen Wohnsitz aus ganz Europa werden dazu in Rom erwartet. Warum ist gerade die Begegnung mit den Armen des Kontinents für Franziskus am Ende des Heiligen Jahres so zentral?

Fisichella: „Obdachlose sind Menschen in einer Notlage, aber auch in einem Mangel an Würde. Kein Haus zu haben ist etwas sehr Einschneidendes. Angesichts dieser Form von Armut muss die Kirche ihre Solidarität zeigen, und das muss auch ein Schock für die Gesellschaft sein, für die Regierungen und die Institutionen: verstehen, warum Leute bei uns kein Dach über dem Kopf haben, verstehen, dass da ein grundsätzliches Unbehagen ist, vielleicht wegen Arbeitslosigkeit oder Krankheit – aber immer Dinge, die eine Gesellschaft nicht an den Rand drängen darf. Hochbedeutsam scheint mir, dass das Jubiläum der Obdachlosen, also der neuen Armen, unmittelbar vor jenem Sonntag stattfindet, an dem in der Weltkirche die Heiligen Pforten sich schliessen. Das Heilige Jahr endet, die Pforten gehen zu, aber die Armen, die haben wir immer bei uns. Die Barmherzigkeit lebt weiter, über die Schliessung der Pforten hinaus.“

RV: Bis zum Amtsantritt von Papst Franziskus war Barmherzigkeit in der Kirche eine eher unbeachtete Tugend. Ist es dem Papst mit diesem ausserordentlichen Heiligen Jahr geglückt, Barmherzigkeit als Antrieb christlichen Handelns schlechthin im Herzen der Kirche zu verankern?

Fisichella:  „Ja, das denke ich wirklich: Barmherzigkeit ist wieder das pulsierende Herz des Lebens der Kirche geworden. Es stimmt, was Sie sagen, über Jahrzehnte war das Thema Barmherzigkeit marginal in der Theologie. Wenn Sie heute Theologie-Lexika aufschlagen, dann finden Sie das Stichwort Barmherzigkeit entweder überhaupt nicht oder subsumiert unter Spiritualität oder als blosses Attribut Gottes. Barmherzigkeit wurde nicht als zentrale Botschaft der Offenbarung gesehen und reflektiert. Es ist wirklich paradox, dass die Kirche für so lange Zeit das Thema Barmherzigkeit in eine komplett randständige Zone ihres Nachdenkens verbannt hat. Das war in der Theologie der Fall, dann auch in der Katechese und in der Predigt – und in weiterer Folge selbst im Leben des Christen. Papst Franziskus aber sagt uns, Jesus ist das Antlitz der Barmherzigkeit des Vaters. Sicherlich, er folgt hier dem grossen Engagement von Papst Johannes Paul II. für die göttliche Barmherzigkeit. Doch mit diesem Jubiläum ist die Barmherzigkeit wirklich zurückgekehrt, sie ist präsent und wirksam im Leben der Kirche.“

rv 17.10.2016 gs

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