Die Kirche als Feldlazarett

Noch kein nachsynodales Schreiben eines Papstes hatte eine Vorgeschichte wie “Amoris laetitia”

Guido HorstQuelle
Eine neue Sprache der Kirche
Gerechtigkeit/Barmherzigkeit

Rom, Die Tagespost, 08. April 2016

Noch kein nachsynodales Schreiben eines Papstes hatte eine Vorgeschichte wie “Amoris laetitia”. Über zwei lange Jahre, die man nicht nur in Rom als ausgesprochen unruhig und bisweilen verstörend empfunden hat. Es begann mit dem Grundsatzreferat von Kardinal Walter Kasper beim Kardinalskonsistorium im Februar 2014.

Die Zulassung der Wiederverheirateten zur Kommunion im Einzelfall stand damals im Raum. Es folgten Aufsätze, Interviews, Bücher und Gegenbücher von Kardinälen und Bischöfen, vertrauliche Tagungen und offene Kongresse – und natürlich die beiden Synoden zu Ehe und Familie selbst, die von Teilnehmern und Beobachtern streckenweise als dramatisch erlebt wurden. Die Angst von sehr vielen: Dass man in Sachen Ehe, Familie und vielleicht auch Sexualmoral die pastorale Praxis gegen die kirchliche Lehre ausspielen könnte. Diese Vorgeschichte hat die Augen geformt, mit denen das neue Papstschreiben nun gelesen wird. Wer hat sich durchgesetzt, gibt es Sieger und Verlierer nach dem über zweijährigen synodalen Prozess?

Wie zu erwarten war, hat es Franziskus vermieden, diese vorschnelle Frage zu beantworten. Aber er hat sehr deutlich seinen eigenen Akzent gesetzt. Wie gesagt: einen Akzent. Wenn die Lehrschreiben der letzten Päpste das Ideal der katholische Ehe und Familie herausgehoben haben, galt ihr Blick auch der konkreten Lebenswirklichkeit der Menschen, das Scheitern eingeschlossen. Wenn sich Franziskus – unter der Überschrift Begleiten, Unterscheiden, Eingliedern – jetzt mehr den Realitäten zuwendet, lässt er das Ideal nicht aus dem Blick. Der ganze erste Teil des Schreibens zeugt davon. Aber der Akzent ist anders. Das zentrale Kapitel ist wohl das achte, das die heiklen Fragen behandelt: Wie geht die Kirche mit Menschen um, die nicht so leben, wie es dem Ideal, der reinen Lehre entspricht. Niemand darf sich exkommuniziert fühlen, nur weil er verwundet ist, wünscht der Papst. Die Kirche als Feldlazarett. Das Ziel ist das Ideal, aber der Weg dahin kann nicht immer einfach sein. Es soll nicht sein, so Franziskus, dass man die moralischen Gesetze wie „Felsblöcke“ auf das Leben der Menschen wirft, wenn diese irren oder gescheitert sind. War das bisher so? Nein. Aber der Papst weiss, dass die gläubigen Laien und die Seelsorger in den Gesellschaften von heute immer mehr in einem Umfeld leben, in dem das Leben kein Abziehbild von „Humanae vitae“ oder „Familiaris consortio“ ist. Doch die Kirche soll allen offenstehen. Sonst läuft sie Gefahr, sich als „Kirche der Reinen“ von der Welt abzukapseln und zur Sekte zu verkommen.

Franziskus hat jetzt geschrieben und ausgeführt, was er schon oft angedeutet hatte: Die Kommunionzulassung ist nicht die Lösung der Probleme. Auch nicht für die zivil Wiederverheirateten. Es geht um geduldige Begleitung, Unterscheidung der Lebenssituationen und der Einzelfälle, um die Integration in die Gemeinden und kirchlichen Gemeinschaften – auch derer, die den Weg der Umkehr und Bekehrung noch ganz zu Ende gehen müssen. Das ist der rote Faden von „Amoris laetitia“. Über viele Details des Dokuments, und vor allem über seine Rezeption, wird man noch reden müssen.

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