“Spiel nicht mit den Schmuddelkindern”
Das dritte Buch des italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi enthält viele Halbwahrheiten und Unwahrheiten
Die Tagespost, 16. November 2015
Von Ulrich Nersinger
Die ersten Zeilen eines Buches sind für den Leser von Bedeutung. Sie entscheiden in der Regel darüber, ob er sich zum Weiterlesen entschliesst oder die Lektüre vorzeitig beendet. Und sie verraten etwas über den Charakter eines Buches. Dem Käufer von Gianluigi Nuzzis Elaborat “Alles muss ans Licht. Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes” wird auf der Rückseite des Schutzumschlages grossmundig versprochen: “Ein Buch, das jedem die Augen öffnet”. Wer aber nun glaubt, ein hochinformatives Sachbuch erworben zu haben, wird enttäuscht sein – und getäuscht werden.
Der Autor spricht einleitend von einem der “Wundmale des Vatikans“ und widmet sich dem kurzen Pontifikat Papst Johannes Pauls I. (1978). Die Existenz einer mächtigen Freimaurerloge, die eigentlich gar keine war, wird beschworen; hochrangige Würdenträger der Römischen Kurie als deren eingeschworene Mitglieder benannt, das unerwartete Ableben des Papstes mit dessem angeblichen Kampf gegen angebliche Dunkelmänner der Kirche in Verbindung gebracht. Heute ist für so gut wie jedermann geklärt, dass der Tod des Luciani-Papstes ein natürlicher war, bedingt durch dessen schwache Gesundheit, und die damals kursierenden Verschwörungs- und Mordtheorien sich aus einer unglücklichen vatikanischen Informationspolitik ergaben. Doch längst widerlegte alte “Enthüllungen“ scheinen für den Einstieg in neue skandalträchtige “Offenbarungen“ noch immer bestens geeignet zu sein.
Wer als Leser diesen Weg mitbeschreiten will, hat in Gianluigi Nuzzi seinen idealen Cicerone gefunden. Seite für Seite kann er sich dann die Lektüre hindurch auf- und erregen lassen. Der Autor bedient sich in seinen Ausführungen eines Pathos, das einen höchstmoralischen Anspruch des Buches suggerieren soll. Moral ist in dem Buch aber eine äusserst fragwürdige Komponente, folgt doch die spektakuläre “Enthüllung“ vatikanischer Finanzskandale der Maxime: Der Zweck heiligt die Mittel! Vertrauliche Unterlagen des Vatikans – zum Teil mit den eindeutigen Vermerken “Riservato“ und “Sub Secreto Pontificio“ versehen – gerieten durch kriminelle Vorgänge und das Handeln von Dieben in die Hände Nuzzis. Der Papst selber sah sich genötigt, nach dem Angelusgebet vom 8. November ausdrücklich zu betonen, “dass es strafbar ist, solche Dokumente zu stehlen”.
Dass man über die Echtheit der im Buch abgedruckten Unterlagen nicht zu diskutieren braucht, steht ausser Frage. Ebenso kann nicht geleugnet werden, dass sich Katholiken um die Finanzen des Heiligen Stuhls ernsthaft Sorgen zu machen haben. In manchen Bereichen der Verwaltung steuert die wirtschaftliche Lage durchaus auf eine katastrophale Entwicklung hin. Korruption ist im Vatikan kein Fremdwort und dort tätige Menschen vermögen durchaus eine beachtliche kriminelle Energie an den Tag zu legen. Benedikt XVI. und Franziskus haben bereits enorme Anstrengungen unternommen, vorhandene Missstände konsequent anzugehen und zu beseitigen. Doch dafür bedarf es Nüchternheit, echter Sachkundigkeit und eines professionellen Vorgehens, fernab einer sensationslüsternen Neugier, einer ideologiegefärbten Motivation und einer besonderen Art von Beschaffungskriminalität.
Ausser dem Umstand, dass Nuzzi für sein Buch aus einem Diebstahl Nutzen zieht, gilt es, weiteres Hauptaugenmerk auf die Interpretation der entwendeten Dokumente zu werfen. Sie ist selektiv, aus dem Zusammenhang gerissen, manipulativ – und oft schlicht und einfach falsch. Eine Buchbesprechung kann nicht detailliert auf die gefährliche Mixtur von Wahrheiten, Halbwahrheiten und Unwahrheiten eingehen. Daher heisst es, sich auf einen exemplarischen Blick zum “Skandal“ des Besitzes und der Verwaltung vatikanischer Immobilien zu beschränken, auch dies nur in Fragmenten.
Von “Residenzen“ und “Luxusdomizilien“ ist die Rede. Mangelnde Bescheidenheit wird beklagt, eine Option für die “Kirche der Armen“ vermisst. Besonders die Wohnungen der römischen Purpurträger werden der Beobachtung unterworfen, plakativ deren Quadratmeterzahlen gegen die Ausmasse der päpstlichen Unterkunft im vatikanischen Gästehospiz aufgerechnet. Der Heilige Stuhl gerate damit in Erklärungsnot, heisst es. Erklärung täte daher not. Das tut sie wirklich. Aber anders als sie in dem Buch mit einem ständig sich wiederholenden Pathos der Entrüstung gefordert wird. “Aufklärer“ wie Nuzzi lassen ein Mindestwissen über geschichtliche Hintergründe und römische Gepflogenheiten vermissen – oder sie verschweigen bewusst ihre Kenntnis darüber.
Der Grossteil der Kardinalswohnungen in Rom findet sich in historischem Ambiente, in Palästen, die Einrichtungen der Römischen Kurie beherbergen, oder sind sogar in den weiten Fluchten des Apostolischen Palastes gelegen. Ihre Grösse und Aufteilung war und ist durch die Geschichte des Kardinalats vorgegeben. Bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts schrieb die damalige Zeremonialkongregation peinlich genau vor, wie die Wohnung eines Purpurträgers auszusehen hatte: So verlangte sie unter anderem das Vorhandenseins eines Eingangssaals, eines Wartezimmers für die Besucher, eine “Sala delle Congregazioni“ (diese war für die Sitzungen der Kongregationen vorgesehen, denen der Kardinal eventuell als Präfekt vorsass). Die Residenz eines Kardinals in der Ewigen Stadt war und ist nicht nur eine Wohnung, sie ist auch ein Arbeitsplatz und ein Ort der Kommunikation. Hier kommt es oft täglich zu Begegnungen mit einer Vielzahl von Besuchern (Schüler-, Pfarr- und Pilgergruppen) und Delegationen aus den getrennten Schwesterkirchen und nichtchristlichen Religionsgemeinschaften.
Gründe, warum übergross erscheinende Wohnungen nicht immer in mehrere kleinere aufgeteilt werden können, haben nicht selten ihre Erklärung in den Vorschriften des Denkmalschutzes oder finden sich aufgrund des hohen Alters mancher Palazzi in nur schwer oder gar nicht durchführbaren baulichen Umgestaltungen gelegt. Zudem sei die Frage erlaubt, warum soll man einem verdienstvollen Kardinal im Ruhestand, der längst nicht über die Gelder und Pensionen des heimischen kirchensteuerfinanzierten Klerus verfügt, einen angemessenen Alterssitz zu zahlbaren Konditionen verweigern? Geschickt spielen der Autor und die Schar seiner Helfershelfer – allesamt Personen, die den prolongierten Pauperismus nicht immer zu ihrem eigenen Lebensinhalt gemacht haben – auf der Klaviatur des Neides.
Dass die säkularen Medien Nuzzis Ausführungen begierig aufsaugen und genüsslich verbreiten, verwundert nicht. Bad news are good news, schlechte Nachrichten sind gut fürs Geschäft. Auch nicht, wenn Fernsehanstalten, so wie es der ORF dieser Tage tat, zu Komplizen illegal beschaffter Tonaufnahmen von nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Äusserungen des Heiligen Vaters werden. Beschämend und traurig ist es, wenn “Alles muss ans Licht“ auch innerkirchlich Claqueure und unkritische Unterstützer findet. Fassungslos, aber irgendwie nicht überrascht, wird man Zeuge, wie der Wiener Theologieprofessor Paul M. Zulehner die kriminelle Beschaffung der vatikanischen Dokumente vor laufender Kamera gutheisst und lobt.
1965 hatte der deutsche Liedermacher Franz Josef Degenhardt ein Album mit Protestsongs herausgebracht. Das Titellied verstand sich als pointierte Kritik an der damaligen Gesellschaft. Unter neuen Vorzeichen vermag es in unseren Tagen im Umgang mit Gianluigi Nuzzis “Enthüllungsbuch” eine geeignete Entscheidungshilfe zu sein: „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder!”
Gianluigi Nuzzi: Alles muss ans Licht. Das geheime Dossier über den Kreuzweg des Papstes. Ecowin Verlag, Salzburg 2015, 384 Seiten, ISBN: 978-3-7110- 085-9, EUR 21,9
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