Hirtenwort zur Adventszeit am Christkönigssonntag
Im Wortlaut
Hirtenwort des Bischofs von Eichstätt Gregor Maria Hanke OSB zur Adventszeit am Christkönigssonntag, dem 22. November 2015
Liebe Schwestern und Brüder,
“Jesus Christus ist das Antlitz der Barmherzigkeit des Vaters.” Mit diesen Worten leitet unser Heiliger Vater Papst Franziskus sein Schreiben ein, in dem er das Heilige Jahr der Barmherzigkeit ankündigt. Vom kommenden 8. Dezember an, dem Hochfest der unbefleckt empfangenen Gottesmutter, dem Abschlusstag des II. Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren, bis zum Christkönigssonntag 2016 wird das Jahr der Barmherzigkeit in Rom sowie in den Diözesen der ganzen Welt begangen. Papst Franziskus hofft, dass dieses Heilige Jahr gerade auch in den Ortskirchen als Moment ausserordentlicher Gnade und spiritueller Erneuerung erfahrbar wird.
In der Enzyklika Dives in misericordia: Reich an Erbarmen, die uns Papst Franziskus für das Heilige Jahr empfiehlt, schreibt der heilige Papst Johannes Paul II., dass Barmherzigkeit ein anderer Name für die Liebe Gottes zum Menschen ist. Wo und wie immer Gott sich seinem Volk zuwendet, will er ihm Erbarmen, Gnade und Huld schenken, selbst dann, ja gerade dann, wenn sich der Mensch aus Verstockung von ihm abgewendet hat.
Im Lobgesang des Zacharias im Lukasevangelium besingt die Kirche Gottes Barmherzigkeit als befreiendes Beziehungsgeschehen: Gepriesen sei der Herr der Gott Israels! Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen. (Lk 1,68) Gegen Ende dieses Lobgesangs beten wir: Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe. (Lk 1,78) Die Barmherzigkeit Gottes ist Ausdruck seiner Sehnsucht, den Menschen aufzusuchen, mit ihm in Beziehung zu treten und in Beziehung zu bleiben. Wo Gott wirklich ankommen kann, wird seine unermessliche Kraft spürbar, den Menschen zu lieben und ihn in die Sphäre seines Heils und Erbarmens aufzunehmen.
Barmherzigkeit ist keine billige Gnade
Die Barmherzigkeit Gottes ist nicht mit billiger Gnade oder Verharmlosung des Zustandes des Menschen zu verwechseln, so als ob Gott augenzwinkernd über die menschliche Schuld hinwegsähe. Der heilige Thomas von Aquin schreibt, dass Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit grausam ist, eine Barmherzigkeit ohne Gerechtigkeit hingegen die Mutter der Auflösung. (1)
Durch Taufe und Firmung hat uns die barmherzige Liebe aufgesucht und uns in die Arme geschlossen. Als Getaufter und Gefirmter bin ich ein vom dreifaltigen Gott bejahter Mensch. Bejaht bedeutet: berufen zur liebenden Beziehung mit ihm. Das ist Grund meiner Hoffnung. Gleichzeitig gibt mir das Geschenk der Barmherzigkeit Kraft zum Realismus. Zusammen mit meinen Gaben erkenne ich meine Grenzen, mein Versagen und die Sünde, die Erfahrungsraum der barmherzigen Liebe unseres Gottes werden dürfen.
Bedenkenswert ist, was der heilige Augustinus über das Fehlen solcher Hoffnung sagt: “Menschen, die keine Hoffnung haben, beachten nicht ihre eigene Sünde, umso mehr jedoch die Sünde der anderen. Sie sind nicht auf der Suche nach dem, was sie bessern, sondern nach dem, was sie zerreissen können. Weil sie sich nicht entschuldigen können, sind sie darauf aus, andere zu beschuldigen. … Willst du mit Gott versöhnt werden? Erkenne, was du mit dir machen musst, damit Gott sich mit dir versöhnt!” (2)
Das Sakrament der Versöhnung neu entdecken
Das Heilige Jahr lädt uns ein, dieser Hoffnung Raum zu geben und das Sakrament der Busse neu zu entdecken. Neun Kirchen in unserem Bistum wurden als Jubiläumskirchen ausgewählt:
die Heilig-Kreuz-Kirche in Eichstätt,
die Wallfahrtsbasilika “Maria Brünnlein zum Trost” (Basilica minor) in Wemding,
die Franziskanerkirche (Basilica minor) in Ingolstadt,
die Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Habsberg,
die Wallfahrtskirche St. Peter mit dem Grab der seligen Stilla in Abenberg,
die Stiftsbasilika St. Vitus und Deocar (Basilica minor) in Herrieden,
das Münster St. Johannes der Täufer in Neumarkt,
die alte Wallfahrtskirche in Grosslellenfeld und
die Wallfahrtskirche Heiligkreuz in Schambach.
In diesen Kirchen wie auch in den Pfarreien soll verstärkt zum Empfang des Sakramentes der Versöhnung eingeladen werden. Katechesen, Vorträge und Räume geistlicher Begegnung, in denen persönliche Zeugnisse über die Befreiung durch das Busssakrament möglich sind, sollen den Wert der Beichte zugänglich machen.
Wünschenswert ist die Feier von Stunden der Barmherzigkeit, in denen sich Gläubige gemeinschaftlich auf die Beichte vorbereiten, um dann bei einem der anwesenden Beichtväter die Einzelbeichte abzulegen.
Die gemeinschaftliche Vorbereitung auf die Einzelbeichte kann das Bewusstsein fördern, dass Sünde keine Privatangelegenheit ist, sondern die Gemeinschaft der Kirche betrifft. Sünde ist sozusagen geistliche Umweltverschmutzung. Andererseits reicht das Geschenk der vergebenden Liebe des Herrn im Busssakrament über den Einzelnen hinaus und trägt zum Aufbau der Kirche bei, die doch ein Leib mit vielen Gliedern ist.
Die Barmherzigkeit Gottes ist Ausdruck seiner Sehnsucht, mit dem Menschen in Beziehung zu treten. Die Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes im eigenen Leben stärkt unsere Beziehungsfähigkeit zum Nächsten, sie fördert Herzensgüte und lässt uns selbst mitfühlend handeln. Dessen bedürfen wir in unseren Beziehungen in der Familie und im pfarrlich-kirchlichen Miteinander wie auch für unseren Dienst als Christen in der Gesellschaft. Ich verweise nur auf die grosse Zahl von Flüchtlingen mitten unter uns, die der Hilfe und unseres barmherzigen Handelns bedürfen.
Verschiedene Stationen auf dem Pilgerweg der Barmherzigkeit
Das Heilige Jahr eröffnet uns einen Pilgerweg der Barmherzigkeit. Dieser Weg hat viele Stationen und kann auf vielerlei Weise gegangen werden.
Wir können mit dem Blick auf uns selbst beginnen, indem wir der Frage nachgehen, wie es um unsere Beziehungen im Leben steht. Spiegeln meine Beziehungen zu den Mitmenschen, zu den Menschen in meiner Umgebung meine Gottesbeziehung wider?
Papst Franziskus lädt uns ein, auch die traditionellen Werke der Barmherzigkeit wiederzuentdecken. Die Kirche kennt die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit:
Hungrige speisen,
Durstigen zu trinken geben,
Nackte bekleiden,
Fremde aufnehmen,
Kranke pflegen,
Gefangene besuchen
und die Toten begraben
sowie die sieben geistigen Werke der Barmherzigkeit:
den Zweifelnden recht raten,
die Unwissenden lehren,
die Sünder zurechtweisen,
die Betrübten trösten,
Beleidigungen verzeihen,
die Lästigen geduldig ertragen
und für die Lebenden und Verstorbenen zu Gott beten.
Das Heilige Jahr bietet nun Gelegenheit, sie etwa in den Familien oder den pfarrlichen Gremien als Ausdruck authentischer Nächstenliebe in den Blick zu nehmen und auch im eigenen Leben zu verwirklichen.
Die barmherzige Liebe Jesu steht im Mittelpunkt der Tradition der Herz-Jesu-Freitage. Eine bewusste Mitfeier dieser besonderen Tage kann ebenfalls eine Station auf der Glaubensreise des Heiligen Jahres sein.
Pilgern zu den Pforten der Barmherzigkeit
Besonders aber möchte ich dazu einladen, im Jahr der Barmherzigkeit zu einer der neun Jubiläumskirchen im Bistum zu pilgern. Machen Sie sich als Ehepaar, als Familie, als Pfarrgemeinde, Gruppierung oder Verband auf den Weg und wallfahren Sie gemeinsam zu einer Pforte der Barmherzigkeit!
Das Durchschreiten der Heiligen Pforte in den Jubiläumskirchen, das traditionell mit einem besonderen Ablass verbunden ist, dürfen wir im Sinne einer bewussten Tauferneuerung verstehen. Denn durch die Taufe, dem Ursakrament der Barmherzigkeit Gottes, sind wir in das von Ihm geschenkte neue Leben eingetreten. Seitdem sind wir umarmt von Gottes Barmherzigkeit.
Liebe Schwestern und Brüder,
Papst Franziskus schenkt uns dieses besondere Heilige Jahr der Barmherzigkeit. Nutzen wir es, um uns neu von der barmherzigen Liebe des Vaters ergreifen zu lassen!
Dazu segne Sie alle der Dreieinige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.
Eichstätt, am Weihetag der Basiliken St. Peter und St. Paul zu Rom, den 18. November 2015
Ihr
Gregor Maria Hanke OSB
Bischof von Eichstätt
(1) In Matth. 5,2: “iustitia sine misericordia crudelitas est, misericordia sine iustitia mater est dissolutionis.”
(2) Augustinus. Sermo <habitus in basilica restituta die munerum> 19 CCL 41, 252f.
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