Wenn die Madonna Kirchenpolitik macht

In den Vatikanischen Gärten vertrauen die Päpste sich und die Kirche der Muttergottes an

Madonna della misericordia
150. Jahrestag der Erscheinungen von Lourdes: Apostolische Reise von Papst Benedikt XVI., 12. – 15. Sept.  2008

Von Ulrich Nersinger

Die Tagespost, 08. Mai 2015

An diesem Sonntag des Marienmonats Mai wird der Staatspräsident und Regierungschef von Kuba, Raul Castro, im Vatikan von Papst Franziskus in Audienz empfangen werden. Nicht weit von dem Ort des Treffens in der Aula Nervi, mitten in den Vatikanischen Gärten, an der Via Pio XI, befindet sich seit dem August des vergangenen Jahres eine Kopie der “Virgen de la Caridad del Cobre”, der Schutzpatronin Kubas. Die hochverehrte Marienstatue wurde als “Jungfrau der Nächstenliebe” zum Symbol der Befreiung der Karibikinsel von der Sklaverei und dem Kolonialismus. Die Statue der Muttergottes war der Überlieferung zufolge 1612 von zwei Ureinwohnern Kubas und einem zehnjährigen Sklaven afrikanischer Abstammung aufgefunden worden. Heute erhoffen sich viele Kubaner von ihrer himmlischen Schutzpatronin mehr Freiheit für die Kirche ihres Landes.

In den Vatikanischen Gärten begegnen deren Besucher auf Schritt und Tritt der Madonna – einer Muttergottes, die “Kirchenpolitik” betreibt, allein durch die Kraft des Gebetes. Nach dem Ende des alten Kirchenstaates im Jahre 1870 betrachteten sich die Päpste als “Gefangene des Vatikans“ und verblieben aus Protest gegen die Eroberung Roms in ihrer Residenz bei Sankt Peter. “Bringen wir die katholische Welt in den Vatikan!” hatte der für den Wallfahrtsort Lourdes zuständige Bischof von Tarbes, Francois-Xavier Schoepfer, die Katholiken in aller Welt, insbesondere aber diejenigen Frankreichs, zu einer ungewöhnlichen Spendenaktion aufgerufen. Sie sollte eine massstabgerechte Nachbildung der Grotte von Lourdes in den Vatikanischen Gärten ermöglichen.

Kurz vor seinem Tod konnte Papst Leo XIII. (1878–1903) das aussergewöhnliche Geschenk übergeben werden. Das “vatikanische Lourdes“ lädt seitdem bis zum heutigen Tag zum Gebet ein. In den Marienmonaten Mai und Oktober finden sich hier Gläubige zum Rosenkranz, Andachten und Messfeiern ein; zu diesen Anlässen ist dann allen der Zutritt zur Vatikanstadt möglich. Zu den 150-Jahr-Feiern der Marienerscheinungen in Lourdes war Benedikt XVI. im September 2008 nach Frankreich gereist. Dort hatte der Papst den französischen Katholiken versichert: “Sooft ich vor der Nachbildung der Lourdesgrotte stehe, die sich seit über einem Jahrhundert in den Vatikanischen Gärten befindet, werde ich an euch denken.”

Papst Benedikt XV. (1914–1922) unternahm seine Spaziergänge, indem er in seiner Privatbibliothek oder auf den Balkonen und Loggien des Damasushofes auf und nieder ging. An Besuchen in den Vatikanischen Gärten fand er kein besonderes Interesse; es vergingen oft Wochen, ohne dass er einen Fuss in sie hineinsetzte. Wenn er aber dort mit der Kutsche einen Ort aufsuchte, dann war es die Kapelle der “Madonna della Guardia“. Hier verehrte Benedikt XV. die von Giovanni Battista Conti geschaffene getreue Nachbildung der Muttergottesstatue, die über dem Hafen seiner Heimatstadt Genua wacht. Sie war ihm 1917 geschenkt worden. Der grosse Friedenspapst musste in seinen diplomatischen Bemühungen herbe Rückschläge einstecken und erbat im Gebet zur “Madonna della Guardia“ Schutz und Trost für die vom Krieg geplagten Völker Europas.

Unweit vom wehrhaften Johannesturm der Leoninischen Mauer erhebt sich ein von Antonio Ponzanelli geschaffenes Monument, das Papst Pius XII. (1939–1958) von den Gläubigen Mexikos zum Geschenk gemacht wurde. Es zeigt das “Wunder von Guadalupe“ aus dem Jahre 1531. Auf dem Denkmal aus weissem Marmor erblickt man den Indio Juan Diego Cuauhtlatoatzin (1474–1548), der dem ersten Erzbischof von Mexiko, Juan de Zumárraga OFM, das Abbild der Muttergottes zeigt, das sich auf wundersame Weise in seinen Mantel eingeprägt hatte. Das Monument war dem Papst im September 1939 übergeben worden, während einer kurzen Zeitspanne, in der sich die leidgeprüften Katholiken Mexikos von der Unterdrückung durch den Staat erholen konnten.

Nahe beim idyllischen Französischen Garten mit seinem verspielten Fröschebrunnen präsentiert sich die “Madonna von Fatima“ als Schutzmantelmuttergottes. Das Denkmal ist ein Werk, das der Amerikaner Frederick Shradi geschaffen hat. Es trägt das Datum vom 13. Mai 1981 und erinnert an den Tag des Attentats auf Johannes Paul II. (1978–2005), als der Papst bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz von einer Kugel niedergestreckt wurde, aber überlebte. Seine Errettung schrieb der heiliggesprochene Pontifex der Muttergottes von Fatima zu. Der 13. Mai ist aber auch der Jahrestag der Marienerscheinungen in dem berühmten portugiesischen Wallfahrtsort. Fatima war der grosse Aufruf Mariens an die Gläubigen in aller Welt, für die Bekehrung Russlands zu beten.

Vom “Elioporto“, dem Hubschrauberlandeplatz des Vatikans, unternahm der heilige Johannes Paul II. zahlreiche Flüge innerhalb Italiens oder er flog von dort nach Ciampino oder Fiumicino, von wo aus er Pastoralreisen zu allen Kontinenten antrat. Den kleinen “Flughafen“ der Vatikanstadt bewacht ein Geschenk des Klosters Jasna Góra in Tschenstochau (Polen): die im Heimatland des Papstes hochverehrte “Schwarze Madonna“. Die bronzene Marienstatue mit dem Jesuskind im Arm und einer grossen goldenen Krone auf dem Haupt sollte ein Dank für all das sein, das der Pontifex für die Befreiung seines Heimatlandes von der kommunistischen Herrschaft geleistet hatte.

Eine Mariendarstellung in den Vatikanischen Gärten könnte im Heiligen Jahr 2015/16 an Bedeutung gewinnen. Bei der ehemaligen Palazzina Leos XIII. ist eine grosse azurblaue Keramik angebracht. Sie zeigt eine Kopie der berühmten Marienikone “Madonna della Misericordia – Madonna der Barmherzigkeit” aus Savona (Ligurien, Italien). Sie wurde Papst Johannes Paul II. im Mai 1995 von der Diözese und den Bruderschaften Savonas geschenkt. Im 16. Jahrhundert soll die Muttergottes am Fluss Letimbro mehrfach erschienen sein und ihren Sohn für die Menschen um Barmherzigkeit angefleht haben. Die Kopie des Madonnenbildnisses wurde von Renata Minuto angefertigt und ist vermutlich das erste Kunstwerk einer Frau in den Gärten des Kirchenstaates.

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