Kita-Streik und Kindeswohl

‘Das ist, am Morgen nach Muttertag, eigentlich erschreckend’

Von Jürgen Linminski

Die Tagespost, 11. Mai 2015

Pünktlich zum Auftakt des Kita-Streiks hat die (grüne) Heinrich-Böll-Stiftung erfragen lassen, was die Deutschen vom Betreuungsgeld halten und siehe da, es kamen die altbekannten Zahlen heraus. Etwas mehr als die Hälfte möchte die Steuergelder lieber in andere familienpolitische Leistungen investieren, insbesondere in die Qualitätsverbesserung der Kita-Betreuung. Aber diese Verbesserung für die streikenden 17 500 Tagesstätten in öffentlicher Trägerschaft mit den 1,8 Millionen Kindern dürfte mehr kosten als das Betreuungsgeld. Und ob die Qualität dadurch gesteigert wird, ist noch sehr fraglich. Eine Tatsache allerdings muss man wohl beim Streikbeginn festhalten: Das politisch-mediale Trommelfeuer gegen das Betreuungsgeld zeigt Wirkung, eine knappe Mehrheit glaubt mehr an Vater Staat als an die Fähigkeiten der Mütter. Das ist, am Morgen nach Muttertag, eigentlich erschreckend.

Dennoch: Dieser Streik ist berechtigt. Die Qualität der Kitas lässt zu wünschen übrig. Erst recht seit der Krippenoffensive vor acht Jahren. Damals war die Qualitätsdebatte erfolgreich verdrängt worden. Kein Wunder: Für die anvisierte halbe Million neue Krippenplätze hätten bei einem vernünftigen Betreuungsschlüssel von maximal fünf Kindern pro Erzieherin und einer entsprechend guten Ausbildung mindestens hunderttausend Erziehungskräfte auf eine Fachhochschule gehen müssen. Aber in keinem Budget des Bundes, der Länder oder der Kommunen war auch nur ein müder Euro für die Ausbildung neuer Qualitätsstandards vorgesehen. Und als sich herumsprach, dass es an Erziehungspersonal fehlt, verfiel man auf absurde Ideen wie die Einstellung ehemaliger Verkäuferinnen von Pleitefirmen wie Schlecker. Nein, bei der Krippenoffensive und der Kita-Debatte heute geht es um Parkplätze für Kleinkinder. Das Kindeswohl? Schnell mal eine Bertelsmann-Studie bestellt, die Kitas generell ein fabelhaftes Zeugnis ausstellt und Eltern medial beruhigt. Wissenschaftlich seriöse Untersuchungen wie die amerikanische NICHD-Langzeitstudie oder die Ergebnisse der Bindungs- und Hirnforschung werden beiseitegeschoben. Die Wirtschaft verlangt junge, preiswerte Frauen und sie soll sie bekommen.

Heute werden die Folgen sichtbar. Die Wirtschaft boomt und das Kindeselend auch. Die Zahl der Logopäden etwa explodiert, weil die Sprache sich aus Emotionen entwickelt und das ist in jeder Kita im Vergleich zur Mutterliebe immer Mangelware. Natürlich ist jeder Einzelfall anders gelagert, weil jede Familie anders, einzigartig ist. Aber die verbalen Betäubungsspritzen von der Quality-time (Mama kümmert sich abends besonders intensiv um das Kleinkind) oder von Modellen der Eingewöhnung in die (unnatürliche) Trennung in den ersten drei Jahren (Berliner Modell etc.) gehen immer von den Bedürfnissen der Erwachsenen aus, das Kindeswohl rangiert immer in Funktion zu den “Notwendigkeiten“ der Wirtschaft oder der berufstätigen Mutter. Die beste Ausbildung, die beste Qualitätsbetreuung aber wäre immer noch die Förderung der Elternkompetenz und die Anerkennung des Berufs Mutter. Denn Mütter streiken nicht, ihre emotionale Kompetenz und Intelligenz sind nicht zu übertreffen.

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