Fastenhirtenbrief 2015
“Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!”
Mittwoch, 18. Februar 2015
Liebe Diözesanfamilie!
“Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!” Wenn Jesus mit diesen Worten die Menschen zum Glauben einlädt, dann spricht er gleichzeitig die große Vorbedingung dazu aus. Er sagt: “Kehrt um!”. So sind Glaube und Umkehr aufeinander bezogene Forderungen Gottes an den Menschen, zugleich aber auch die österlichen Gaben des Auferstandenen an uns. Daher will ich am Beginn dieser österlichen Busszeit mit Euch über etwas sprechen, das für unser ganzes Leben von entscheidender Bedeutung ist, jedoch in grosse Vergessenheit geraten ist: die Beichte.
Allein das Wort erweckt in vielen Menschen bei uns unangenehme Gefühle. Diese Gefühle reichen von totaler Ablehnung bis hin zu völliger Gleichgültigkeit. Von den einen abgelehnt, weil sie den Beichtstuhl vielleicht tatsächlich als Ort der Demütigung oder der Indiskretion erlebt haben, und von den anderen ahnungslos belächelt, weil sie nie erfahren durften, was für ein Geschenk die Beichte für den Menschen eigentlich ist: so ist dieses Sakrament zunehmend nicht nur zum ungeliebten und vergessenen, sondern auch zum unbekannten Sakrament geworden. Doch gerade darin liegt für unsere heutige, an Geist und Geistlichkeit so arme Zeit die grosse Chance, die befreiende und belebende Wirkung der Beichte neu zu entdecken. Als Beichtvater wie als Sünder, der selbst zur Beichte geht und genau weiss, wie schwer dieser Schritt sein kann, bin ich überzeugt: der Beichtstuhl ist der Ort, an dem nicht nur der Einzelne, sondern die ganze Welt ihre grösste Reparatur erfahren kann.
Die Beichte ist das Sakrament der Umkehr, denn sie vollzieht die Umkehr, zu der Jesus uns aufruft – die Rückkehr zum Vater, von dem sich ein Mensch durch die Sünde entfernt hat. Sie ist daher auch das Sakrament der Busse, weil sie einen persönlichen Schritt der Umkehr, der Reue und Genugtuung des sündigen Christen darstellt. Das Bekenntnis unserer Sünden vor dem Priester ist ein wesentliches Element dieses Sakramentes. Dadurch wird es zum Sakrament der Vergebung, denn durch die sakramentale Lossprechung des Priesters gewährt Gott selbst dem Beichtenden Verzeihung und Frieden. Das macht die Beichte zum Sakrament der Versöhnung, denn es schenkt dem Sünder die versöhnende Liebe Gottes. Und durch diese Versöhnung wird die Beichte zum Sakrament der Heilung. Hier erfährt der Mensch die Wiederherstellung zerbrochener Beziehungen: zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen und dadurch letztlich zu Gott, der den innersten Kern unseres Menschseins darstellt. Ein Mensch, der sagt, dass er ohne Sünde sei, die Beichte nicht brauche und alles mit und für sich selbst regeln könne, belügt sich selbst – das sagte schon der Apostel Johannes.
Dieser Selbstbetrug kommt in der heutigen Zeit dennoch häufig vor. Wir alle trennen und entsorgen zwar unseren Haushaltsmüll und kennen die Bedeutung von Recycling für uns und unsere Umwelt. Weil wir wissen, dass wir Menschen in einer sensiblen Beziehung zur Natur stehen, die unaufbereiteten Abfall auf uns selbst zurückkommen lässt. Die meisten von uns hätten zu Recht ein schlechtes Gewissen, einen alten Kühlschrank im Wald zu entsorgen oder Frittierfett in den Ausguss zu schütten. Doch wie sieht es mit der seelischen Müllentsorgung vieler Menschen aus? Der Akt seelischer Versöhnung mit sich selbst wird offensichtlich weit zurückhaltender praktiziert als jener der Versöhnung mit der Umwelt. Wäre es anders, bräuchten wir mehr Beichtstühle in unseren Kirchen. Dabei ist Gott der Meister des wahren “Recyclings“: Er, der sich in den Kreislauf des Lebens hineinbegeben hat, indem er selbst Mensch wurde und in Leiden, Tod und Auferstehung alle Tiefen und Höhen des menschlichen Lebens durchgemacht hat; Er, der in der Eucharistie Teil von uns selbst wird, ist auch der Eine, der sogar unsere schwersten Sünden verwandeln kann in Gutes. Aus dem Misthaufen unserer Fehler können Rosen wachsen, wenn wir unsere Schwächen erkennen und sie bewusst in Gottes gütige Hände legen. Papst Franziskus sagt es ganz klar: “Es gibt keine Situation, die Gott nicht ändern kann, es gibt keine Sünde, die er nicht vergeben kann, wenn wir uns ihm öffnen.“ Gott will nicht, dass unsere Seele zu einer Deponie für Sondermüll verkommt. Er will nicht, dass unsere fehlerhaften Haltungen wie ranziges Öl unseren Zugang zur Welt und zu Ihm verkleben und uns an unserer freien Entfaltung behindern! Gott ist unser Freund, er will unser Bestes, unser Heil und unsere Heilung.
Das führt uns zur entscheidenden Frage: Wie kann ich so beichten, dass es mir echte innere Heilung ermöglicht? Der bekannte Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini hat uns drei Schritte aufgezeigt, wie wir das Sakrament der Versöhnung als echtes Geschenk erfahren können, das uns Frieden, Befreiung und Lebensfreude bringt. Diese drei Schritte helfen auch mir persönlich bei der Beichte jedes Mal sehr. Es sind drei einfache Bekenntnisse. Sie sind Teil der Weisheit, die die Kirche über Jahrhunderte hinweg angesammelt hat und dem Menschen heute als Arznei für die Seele anbietet:
– Das Bekenntnis des Lobes (confessio laudis): Ich beginne die Beichte mit Positivem, nämlich mit einem Bekenntnis der Dinge, für die ich Gott loben und danken möchte. Ich nenne das viele Gute beim Namen, das Gott in meinem Leben gewirkt hat: Ereignisse, die mir viel bedeuten; Menschen, die ich liebe; Situationen, in denen mir geholfen wurde. Es wird wohl Keinen unter uns geben, dem nichts einfällt, wofür er dankbar sein müsste. Und indem ich dankbar Rückschau halte, wird mir umso mehr bewusst, dass ich mich des vielen Guten durch mein Verhalten nicht immer würdig gezeigt habe. Diese Einsicht kann einen Menschen tief bewegen und echte Reue bewirken. Denn oft sind, wie Papst Franziskus sagt, “in unserem Leben die Tränen die Brille, durch die wir Jesus sehen“.
– Diese Reue führt uns als Beichtende zum Bekenntnis des Lebens (confessio vitae): zum ehrlichen Bekenntnis der Dinge in unserem Leben, von denen wir vor Gott wünschten, dass sie besser nicht da wären. Es ist der Moment, die “alten Kühlschränke” und anderen Sondermüll, den wir versteckt halten, offen anzuschauen. Es kommt hier nicht darauf an, nur seine Fehlhandlungen zu berichten bzw. sich anhand der Zehn Gebote abzuarbeiten. Ein solcher Automatismus führt meist nicht zu einer tiefgreifenden Veränderung des Menschen. Das Sakrament ist kein Zauberding, das uns von aussen verwandelt wie der Zauberstab des Harry Potter. Graben wir daher tief hinein in unser Inneres und blicken wir – wenn es sein muss durch die Brille unserer Tränen! – auf die wunden Punkte, die Tiefenströmungen und negativen Haltungen, die uns immer wieder der Sünde ausliefern und die nicht gut sind für uns und unser Leben.
– Zum Schluss der Beichte sprechen wir ein drittes und letztes Bekenntnis, das Bekenntnis unseres Glaubens (professio fidei): Wir bringen darin unseren Glauben zum Ausdruck, dass Gott die Macht und die Barmherzigkeit besitzt, all unsere Sünden zu vergeben und uns von Neid- und Rachegefühlen, von Verbitterung, Eifersucht, Machtstreben, Geltungssucht und anderen Ersatzgöttern zu befreien. Ihn bitten wir um Lossprechung. Danach sind wir mit Gott versöhnt und können im alltäglichen Leben auch Zeugen für die Aussöhnung mit unserem Nächsten sein.
Liebe Schwestern und Brüder!
Ich lade Euch alle ein, diese besondere Zeit vor Ostern auch als Zeit Eurer persönlichen Umkehr zu sehen. Als eine Zeit, um das eigene Leben wieder etwas intensiver zu reflektieren, es in seinen dunklen Bereichen aufzuhellen, um ein Stück mehr mit sich, mit den Mitmenschen und mit Gott ins Reine zu kommen. Jeder von uns weiss ziemlich genau, wo die unterbelichteten Stellen in der eigenen Biografie zu finden sind. Jenen unter uns, die regelmässig beichten, wünsche ich dabei, dass das Sakrament für Sie nicht zur oberflächlichen Routine wird, sondern dass es immer wieder den Weg ins Innere finden kann. Jenen unter uns, die schon längere Zeit nicht mehr beichten waren oder überhaupt noch nie einen Beichtstuhl von innen gesehen haben, möchte ich Mut machen: Nehmt Euch selbst so wichtig wie Gott es tut! Verweigert Euch nicht dem wunderbaren Heilmittel der Versöhnung, das er für Euch bereithält! Legt den alten Menschen ab und lebt als neue Menschen! “Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ Die Priester bitte ich ganz besonders, auch selbst zur Beichte zu gehen und umgekehrt den Gläubigen eine gute Beichte zu ermöglichen und sie auf eine gute Beichte vorzubereiten – etwa durch Bussfeiern oder Abende der Barmherzigkeit. Solche Formen der Vorbereitung sind wichtig, sie ersetzen aber nicht die persönliche Beichte und dürfen auch nicht gegen die Beichte ausgespielt werden! Anders als in der pharmazeutischen Industrie ist das Sakrament der Busse und der Versöhnung ein Heilmittel, für das es keine billige Ersatzmedizin, kein Genericon und kein Placebo gibt.
Abschliessend bitte ich Euch alle, auch heuer wieder die Fastenaktion unserer Diözese grosszügig zu unterstützen. Immer, wenn wir etwas für die Armen geben, dürfen wir unsere Gabe auch als Zeichen des Bemühens verstehen, das eigene Leben zu verändern. Die Armen helfen uns somit bei unserer Bussfertigkeit und erinnern uns daran, wie sehr auch wir auf Hilfe und Barmherzigkeit angewiesen sind.
Gott schenke Euch eine erfüllte Fastenzeit, eine gute Beichte und lasse Euch mit grosser innerer Freude das Osterfest feiern! Es betet für Euch, segnet Euch und bittet gleichzeitig um Euer Gebet und Euren Segen
+Ägidius
Bischof von Eisenstadt
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