“Es ist Ordnung im Universum”

Wie ein französischer Kommunist zum Katholizismus konvertierte: André Frossard zum 100. Geburtstag

frossardAndré Frossard: Literatur

Von Katrin Krips-Schmidt

Die Tagespost, 12. Januar 2015

“Die Bekehrten sind lästig.” Mit diesem Ausspruch von George Bernanos führt einer der bekanntesten Konvertiten des 20. Jahrhunderts in seine eigene Geschichte der Erkenntnis Gottes ein. Sein autobiographischer Bericht “Gott existiert – Ich bin ihm begegnet” wurde über 200 000 mal verkauft; er machte den Kolumnisten der Pariser Zeitung “Le Figaro” weltweit bekannt.

André Frossards Geburtstag jährt sich morgen zum hundertsten Mal. Für sein bisheriges Umfeld war die Erfahrung eines lebendigen Gottes deshalb so verstörend, weil Frossard bis zu seiner Bekehrung überzeugter Kommunist war. Und sie war es auch noch 1969, als sein Buch erschien, als alle Welt dem Traum einer Weltverbesserung und Emanzipation nachhing. Der “Gott ist tot”-Theologie setzte er sein glaubensgewisses “Gott existiert2 entgegen.

Gerade einmal fünf Minuten dauerte diese Blitzkonversion, die ihn “im Besitz einer Freundschaft zurückliess, die nicht von dieser Erde war”. Als Skeptiker und Atheist der äussersten Linken betrat der damals Zwanzigjährige am 8. Juli 1935 eine kleine Kapelle in der Rue d’Ulm im Quartier Latin und wurde von dem überwältigt, was sich darin ereignete. Er verliess diesen Ort als ein “katholischer, apostolischer, römischer Christ, getragen und emporgehoben, immer von neuem ergriffen und fortgerissen von der Woge einer unerschöpflichen Freude”.

Dabei erwartete ihn ein ganz anderer Lebensverlauf. Dem 1915 in Colombier-Châtelot im Elsass Geborenen und in einem “revolutionären Milieu“ Aufgewachsenen – sein Vater gehörte zu den Gründern der Kommunistischen Partei Frankreichs und wurde mit 31 Jahren deren erster Generalsekretär – waren die jüdischen, katholischen und protestantischen Wurzeln seiner Grosseltern geistig und intellektuell bereits so weit entfernt, dass ihm eine blosse Gottesleugnung noch nicht einmal in den Sinn gekommen wäre: “Wir waren perfekte Atheisten, von der Sorte derer, für die der Atheismus kein Problem mehr ist. Die letzten militanten Antiklerikalen, die in den öffentlichen Versammlungen noch Tiraden gegen die Religion hielten, kamen uns rührend und ein wenig lächerlich vor, wie es etwa Historiker wären, die sich mit Scharfsinn bemühen würden, das Märchen vom Rotkäppchen zu widerlegen.”

André erinnert sich an seine Jugend, als er mit vier Jahren nach Paris umzieht, wo er an sozialistischen Gedenkmärschen und Aufzügen am Friedhof Pere Lachaise teilnahm, und revolutionäres Gedankengut – “eine Religion, einen Glauben” – in sich aufsog wie andere das Evangelium. Eines der wenigen Bücher, die zuhause nicht von Politik handelten, war die griechische Sagenwelt der Ilias. Die sich ihm hier erschliessenden Phantasiewelten olympischer Göttergestalten geben ihm Gelegenheit, der rauen Wirklichkeit des Schulalltags zu entfliehen, als er nach einem erfolgreichen Besuch der Grundschule die auf dem Gymnasium an ihn gestellten Erwartungen nun nicht mehr erfüllt. Er vagabundiert “in Gesellschaft von Voltaire und Jean-Jacques Rousseau” in den Pariser Strassen und Parks herum.

Schliesslich kommt er, der zeichnerisch Begabte, auf eine Kunstgewerbeschule. Doch auch hier hat er keinen Erfolg. Sein Vater bringt ihn bei einer Pariser Abendzeitung unter, wo er gütig behandelt wird und “von Zeit zu Zeit einen Artikel über den herbstlichen Blätterfall oder eine Katzenausstellung“ schreiben darf. Einer seiner Journalistenkollegen soll für seine Konversion allerdings zu einer Art Katalysator werden. Mit dem religiösen André Willemin, mit dem Frossard so manchen Schlagabtausch über die eigene Überzeugung führt, hat er eines Nachmittags ein Treffen. Zuvor geht Willemin noch in die Kirche, um zu beten, Frossard wartet im Auto. Als er kurze Zeit später selbst die Kapelle betritt und sich umschaut, kommt es zu dem Ereignis, das Frossard selbst als “Blitzkonversion“ bezeichnet: “In diesem Augenblick bricht jäh eine Welle von Wundern los, deren unerbittliche Gewalt in einem Nu von dem absurden Wesen, das ich bin, die Hülle reissen und das Kind, das ich nie gewesen bin, geblendet von dem Glanz, ans Tageslicht bringen wird. Zuallererst werden mir die Worte ‘geistliches Leben‘ eingegeben.” Plötzlich öffnet sich der Himmel über ihm beziehungsweise er stürzt auf ihn zu. Und als ob ihm selbst die Lächerlichkeit seiner Worte bewusst ist, versichert er: “Wie soll ich’s schildern, mit diesen abgedankten Worten, die mir den Dienst versagen und mir die Gedanken abzuschneiden drohen, um sie in das Magazin der Einbildungen zu verweisen? Es ist die Wirklichkeit, es ist die Wahrheit, ich sehe sie vom dunklen Strand aus, wo ich noch festgehalten bin. Es ist eine Ordnung im Universum, und an ihrer Spitze, jenseits dieses funkelnden Nebelschleiers, ist die Evidenz Gottes, die Evidenz, die Gegenwart ist, die Evidenz, die Person ist, die Person dessen, den ich vor einer Sekunde noch geleugnet habe, den die Christen unseren Vater nennen und dessen milde Güte ich an mir erfahre, eine Milde, die keiner anderen gleicht.”

Frossard wird von einer nie gekannten Freude erfasst, er weiss mit einem Male, dass er vom Tod errettet ist, er jubelt, er triumphiert, auch wenn er von diesem unglaublichen Vorfall selbst wohl am meisten überrascht ist, “als ich mich selber beim Hinausgehen aus der Kirche als Katholik erlebte, dass ich nicht hätte mehr überrascht sein können, wenn ich mich selber beim Verlassen eines Zoos als Giraffe erlebt hätte. Keine andere Institution war mir fremder als die katholische Kirche, ich könnte sogar sagen: Keine andere war mir weniger sympathisch. Sie war für mich so weit entfernt wie der Mond oder der Mars“, wie es in seinem 1976 erschienenen Nachfolgeband “Es gibt eine andere Welt” heisst.

Die Bekehrung hat natürlich Folgen. Die Eltern, besorgt um die Gesundheit des Filius, bemühen die Dienste eines befreundeten Arztes. Dieser beruhigt sie nach eingehenden Untersuchungen und Gesprächen mit dem abtrünnigen Sohn, es handle sich um eine Krise des “Mystizismus”, die wieder vorübergehe. Nichts Ernstes also. Doch weit gefehlt. Der Wille, sein Leben radikal zu ändern, führt Frossard, der sich “so mit Gnaden überhäuft” fühlt, zunächst ins Kloster. Nach einem kurzen Aufenthalt bei den Trappisten stellt er fest, dass ihm die Berufung zu einem kontemplativen Ordensleben fehlt. Im September 1936 wird er bei der Marine aufgenommen. Während seiner Dienstzeit als Schreiber und Funker, die er vornehmlich an Land absolviert, bleibt ihm viel Zeit, die er nutzt, um sich mit der Liturgie und den Heiligen der katholischen Kirche vertraut zu machen. Nach der Demobilisierung schliesst er sich der Résistance an, heiratet Ende 1942 und wird Vater. Im Dezember 1943 verhaftet ihn die Gestapo in Lyon wegen seiner jüdischen Grossmutter. Er wird in die “Judenbaracke“ von Fort Montluc gebracht und ist einer der wenigen Überlebenden – in seiner Schrift “La Maison des Otages” verarbeitet er die grauenhafte Zeit in dem Lager. Sein Glauben, den er stets als “Überzeugung“, “Gewissheit“ oder “Evidenz“ bezeichnet, gibt ihm Kraft, das Schreckliche zu ertragen. Als sein Sohn mit neun Jahren stirbt, wird diese Gewissheit erneut auf die Probe gestellt. Sie hält stand. Frossard ist sich sicher: “Die Friedhöfe sind nur die Kleiderkammern der Auferstehung.”

Nach dem Krieg setzt er seine journalistische Tätigkeit fort, zunächst als Chefredakteur bei “L’Aurore“, ab 1962 bei der Tageszeitung “Le Figaro“, für die er viele Jahre arbeitet. Bis 1990 verfasst er insgesamt 15 000 journalistische Artikel. Darüber hinaus ist das Mitglied der Académie française Autor von über zwanzig Büchern, in denen er sich leidenschaftlich der Verteidigung der katholischen Lehre widmet. “Les 36 preuves de l’existence du diable” (“Die 36 Beweise für die Existenz des Teufels“) lassen in Stil und Inhalt an C.S. Lewis’ “Anweisungen an einen Unterteufel“ denken, in “Dieu en questions“ antwortet Frossard auf die von Abiturienten gestellten kritischen Fragen, denen sich katholischer Glaube und Kirche seitens eines modernen Skeptizismus bis heute ausgesetzt sehen. In “Mönche und Jesuiten“ singt er das grosse Lob der sieben bedeutendsten Orden der Kirche. “Fürchtet Euch nicht“ lautet der Titel des Interviewbuches, das 1982 aus Gesprächen mit Papst Johannes Paul II., mit dem er freundschaftlich verbunden ist, entstand. Darin äussert sich der Papst über seine Person, seinen Glauben und seine Einstellung zur Welt. Zu Frossards letzten Werken gehört die Streitschrift “Le Parti de Dieu – Lettre aux Éveques“. Darin wirft er 1992 den französischen Bischöfen, die doch nur die “Partei Gottes“ zu ergreifen hätten, Mitläufertum und eine Anpassung an den Zeitgeist vor. Sie hätten den Gläubigen ein seiner Mysterien und Wunder beraubtes und auf die Soziologie und die Geschichte reduziertes, abgestorbenes Christentum vermittelt und die Zugeständnisse an die intellektuellen Moden und die Kompromisse mit der Welt vermehrt.

War Frossard durch seine Hinwendung zu einem entschiedenen Katholizismus gar zu einem “Integrist“ geworden, wie man in Frankreich einen “Fundamentalisten“ nennt? Keinesfalls. Er verehrte Papst Johannes Paul II., dessen Einsatz für die Ehemoral er ausserordentlich schätzte – und verteidigte zudem dessen Gebetstreffen in Assisi. Im “Aurore“ prangerte er die Folterpraxis der Franzosen im Algerienkrieg an: “Wenn man sich in einem kolonialisierten Land nur noch durch Folter und Schiessereien behaupten kann, gibt die Geschichte euch zu verstehen, euch zu verabschieden.“ Als die Zeitung sich der “OAS“ annäherte, einer Untergrundbewegung, die jene bekämpfte, die die Unabhängigkeit Algeriens anstrebten, gab er seine Tätigkeit beim “Aurore“ auf.

Am 2. Februar 1995 stirbt Frossard in Versailles. Bis kurz vor seinem Tod arbeitete er unermüdlich – zuletzt an seiner täglichen Kolumne “Cavalier seul“, in der er mit spitzer Feder seine heidnische Umwelt aufs Korn nahm. Er verabschiedete sich mit einem Beitrag, in dem er die spirituelle Verödung Europas betrauerte. Das ist zwanzig Jahre her.

Was er uns wohl heute zu sagen hätte?

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