“Papst beschäftigt sich mit Europas Politik”

EU-Parlamentspräsident: “Papst beschäftigt sich mit Europas Politik”

EU-Parlamentspräsident: Papst gibt Orientierung

Lobende Worte nach dem Papstbesuch: Europaparlamentspräsident Martin Schulz ist zufrieden mit dem Besuch des Papstes. Im Gespräch mit unserer Korrespondentin vor Ort, Gudrun Sailer, geht der SPD-Politiker auf die Besonderheiten der Papstrede an die EU-Abgeordneten ein.

Überrascht, dass Papst, der Europa nicht richtig kennt, Patienten Europa so treffend analysiert?

“Nein, überrascht war ich nicht. Ich glaube, dass sich der Papst sehr intensiv mit der europäischen Politik auseinandersetzt, wie man heute hören konnte auch mit der Geschichte der Migration in Europa. Ich glaube, das Bereichernde für uns ist, dass es der Blick eines lateinamerikanischen Priesters auf Europa ist. Das hilft uns, zwei Dinge zu erkennen: Erstens, wie wichtig eigentlich für andere Teile der Welt Europa immer noch ist und wie wichtig es deshalb von uns ist, Europa vom Kopf auf die Füsse zu stellen.”

Sein wichtigstes Konzept, dass er in seiner Grundsatzrede präsentiert hat, war das Konzept eines Menschen mit unabdingbarer Würde. Was folgt daraus?

“Zunächst einmal bin ich sehr dankbar dafür, dass das die Botschaft ist, weil es eine sehr katholische, sehr christliche Botschaft ist, aber es ist auch eine universelle Botschaft. Der Papst hat in seiner Rede Bezug genommen auf die christlichen Wurzeln Europas, aber eben auch auf die humanistischen. Das macht es für Nicht-Katholiken und Nicht-Christen sehr einfach, sich dieser sehr universellen Botschaft anzuschliessen. Und das ist das Faszinierende an Papst Franziskus: Er schafft es, in dieser Vorgehensweise Menschen, die sich selbst vielleicht gar nicht als religiös betrachten, mitzunehmen und deshalb wiederhole ich das, was ich seit langer Zeit beobachten darf, sage: Das ist ein Mann, der Orientierung gibt in Zeiten der Orientierungslosigkeit. Jede Zeit hat diese Figuren nötig und in unserer Zeit ist ganz sicher Papst Franziskus eine solche Persönlichkeit, die Orientierung gibt in einer doch ziemlich starken Desorientierung.”

Papst Franziskus hat auch vor einem falschen Begriff von Menschenrechten gewarnt. Er sieht die Gefahr, dass sozusagen individuelle Rechte immer mehr Oberwasser gewinnen gegenüber dem Recht der Allgemeinheit. Ist das wirklich eine Ermahnung, die wir uns ins Stammbuch schreiben müssen?

“Ohne jeden Zweifel, ja. Ich kann für mich persönlich nur sagen, dass ich das selten so präzise formuliert gehört habe. Ich bin seit langer Zeit zutiefst darüber besorgt, dass wir in einer Mischung aus Hedonismus auf der einen Seite – der zulässig ist, aber übertrieben wird – und einer bereichert-euch-hemmungslos-Philosophie, nehmt-was-ihr-nehmen-könnt-für-euch, dass wir in dieser Mischung einem gesellschaftlichen Kollaps entgegengehen. Nicht alles, was man machen kann, nicht alles, was machbar ist, ist auch verantwortbar. Und er hat ja auch von dieser technologischen Verwertung des Menschen gesprochen. Ein Freund von mir hat mal die Rolle von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen in Grossunternehmen als Kostenfaktoren mit Ohren bezeichnet. Die werden dort als Kostenfaktoren mit Ohren betrachtet – aber nicht als Individuen, die eine Würde haben. Deswegen fand ich auch die Passage “Die Würde durch Arbeit, aber auch die Würde in der Arbeit” ganz wichtig. Er hat absolut recht: Wenn wir nicht zurückkehren zu einer Gesellschaft, in der individuelle Freiheit ihre Grenzen dort findet, wo sie die Freiheit der anderen einschränkt, was übrigens so fast wörtlich im deutschen Grundgesetz steht, wenn wir nicht zu so einer Gesellschaft zurückkehren, dann werden sich die Gräben unserer Gesellschaft vertiefen. Und dann gehen wir sehr konfrontativen Zeiten entgegen.”

Das transzendente Menschenbild, das Papst Franziskus beschworen hat, meinen Sie, das wird bei manchen Parlamentariern auf taube Ohren stossen oder vielleicht sogar Widerstand erregen?

“Bestimmt. Es gibt sicher Mitglieder dieses Hauses, die das anders sehen. Ich fand das Bild der Schule von Athen sehr interessant: Der Finger, der auf die Erde und den Himmel weist. Es ist eindeutig, dass unsere Existenz sich zwischen Himmel und Erde abspielt – das ist schon so. Wir sind mit zwei Füssen auf der Erde, aber unser Kopf geht in Richtung Himmel, wenn wir den aufrechten Gang haben. Und das unser Leben verbunden ist mit Fragen, auf die wir ewig Antworten suchen, egal ob wir gläubig oder nicht gläubige Menschen sind. Auch die nicht-gläubigen Menschen suchen nach Antworten. Und die finden sie nicht nur im Materiellen, sondern die finden sie auch im Im-Materiellen. Und im Spirituellen. Ich glaube, es wird nicht allzu viele Abgeordnete geben, die diesen spirituellen Teil in der Rede ablehnen – dazu war er zu einnehmend vorgetragen. Denn er war ja einladen. Es war ja nicht so, dass der Papst eine Predigt gehalten hat: “Das ist ex cathedra, so, wie ich das jetzt sage.” Sondern ganz im Gegenteil: Er hat ja vorgeschlagen, darüber nachzudenken, ob dieses Bild nicht auch beschreibt, was wir als Gesetzgeber zu tun haben. Nämlich: Gesetze zu machen, die nicht seelenlos sind. Sondern Gesetze zu machen, die eine Seele haben.”

Der Besuch des Papstes war in mehrerer Hinsicht bemerkenswert: Es war die kürzeste Papstreise überhaupt jemals im Ausland, für Franziskus-Verhältnisse zwei aussergewöhnlich lange Reden und dann war noch bemerkbar für Leute wie unsere Kollegen von Radio Vatican, die den Papst bei jeder Reise begleiten, es war die kälteste Reise – einfach deswegen, weil keine Begegnung mit Gläubigen vorgesehen waren. Aber dieser Punkt mit der Kälte, das kam im Plenum nicht mehr so richtig zum Tragen, richtig?

“Nun muss ich Ihnen sagen: Das sind Dinge, die ausserhalb meines Einflussbereichs liegen. Wenn’s nach mir gegangen wäre, hätten wir mit dem Papst ein Bad in der Menge gemacht und andere Veranstaltungen. Ich erlebe das ja auch, wie der Papst auf Jugendtagen ist oder wenn er auf Menschen zugehen kann. Das sehr restriktive Zeitmanagement hier war ein ausdrücklicher Wunsch unserer Gäste, der Papst hat einen sehr kurzen Besuch hier gemacht, ich habe von Kälte nichts gespürt. Ganz im Gegenteil: Ich hatte im Plenum das Gefühl einer sehr warmherzigen Begegnung des Parlaments mit dem Papst. Und ich muss sagen, in den bilateralen Gesprächen war der Papst aussergewöhnlich zugewandt zu den Gesprächspartnern – nicht nur zu mir, auch zu anderen. Ich kann dieses Gefühl nicht teilen. Im Gegenteil: Ich hatte persönlich einen sehr emotionalen Austausch mit ihm.”

rv 25.11.2014 gs/mg/kin

Quelle

 

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