Ein Meister der Versöhnung
Scheitern und Neuanfang waren seine grossen Themen
Zum Tod des Autors der “Deutschstunde”, Siegfried Lenz.
Die Tagespost, 08. Oktober 2014
Von Burkhard Gorissen
Am Dienstag starb Siegfried Lenz im Alter von 88 Jahren. Er gehörte zu den bedeutendsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur.
Lenz war der Dritte im Dreigestirn der grossen deutschen Nachkriegsautoren. Doch anders als seine Kollegen Böll und Grass, blieb Siegfried Lenz immer von einer besänftigenden Dezenz. Geboren wurde Lenz am 17. März 1926 im ostpreussischen Lyck, dem heutigen polnischen E³k. Einen ersten Durchbruch erlebte er 1955 mit dem Theaterstück “Zeit der Schuldlosen”. Im gleichen Jahr erschien der Erzählband “So zärtlich war Suleyken” mit humorvollen Geschichten aus Ostpreussen, die ihn als begnadeten Erzähler auswiesen und ihm erstmalig einem breiten Publikum bekannt machten. Zum Welterfolg wurde sein Roman “Deutschstunde”. Darin geht es um Machtmissbrauch, Kadavergehorsam und Mitläufergesinnung; im Ganzen also um Frage der deutschen Schuld, die in den ersten Nachkriegsjahren verdrängt worden war, und in der Auseinandersetzung der rebellierenden Nachkriegsgeneration mit ihren Vätern kumulierte, was nicht unwesentlich dazu beitrug, dass der 1968 erschienene Roman zum unerwarteten Bestseller mutierte.
Lenz, ehemaliger Redakteur der Zeitung “Die Welt” (bis 1951), empfand Schreiben immer auch als Widerstand gegen kollektives Verdrängen. Mit ausladender Detailfülle schildert er in dem Roman “Heimatmuseum” (1978) den Verlust seiner ostpreussischen Heimat. Der Protagonist, der masurische Teppichwebermeister Zygmunt Rogalla, verbrennt das von ihm ehedem gerettete Heimatmuseum, um es vor ideologisch verbrämten Schändungen zu retten.
Lenz‘ Romane sind keine Konfektionsware von der Stange, wie die meisten heutigen Elaborate. Sie lassen sich nicht mühelos konsumieren, sondern stellen an die Konzentrationsfähigkeit der Leser ebenso hohe Ansprüche, wie an dessen literarische Aufnahmebereitschaft. Doch den feurigen Erneuerungsgeist, den Arno Schmidt von Joyce empfing, teilte er nicht. Lenz galt manchen Rezensenten als Traditionalist, aus heutiger Sicht eher dem libertinären Chauvinismus des deutschen Feuilletons der 60er/70er geschuldet, denn gewiss knüpfte er an die deutsche Novelle an, nicht jedoch ehrpusselig, sondern in kritischer Distanz. Auch aus der angelsächsischen Kurzgeschichte und der russischen Erzählung (hier ähnlich wie Böll), bezog er Inspirationen. Dem Trend aller Direktheit entzog er sich immer wieder erfolgreich, intimere Dinge blieben der Phantasie des Lesers überlassen. Tatsächlich fragt man sich bei der Lektüre seiner späten Romane “Das Fundbüro” oder “Arnes Nachlass”, ob es sich dabei nicht um anachronistische Ergüsse handelt.
Mit dem gleichen Respekt, den Lenz seinen Lesern entgegenbringt, behandelt er die von ihm aus dem Leben abgelauschten Figuren. Er schildert sie leise, ohne sie zu verraten. Selbst wenn sie ihm geistig fern stehen, behandelt er sie mit einer gravitätischen Zärtlichkeit, wie sie nur ein Liebender behandeln kann, explizit in seinem hochgelobten Alterswerk “Schweigeminute”. Mit dieser Novelle arbeitete er sich nun aus seiner Schreibkrise heraus, in die er durch der Tod seiner Frau Lieselotte, mit der er über 50 Jahre verheiratet war, geraten war.
In dem Wissen, dass eine so grosse Schuld wie die der Deutschen nicht getilgt werden kann, richtete Lenz sein literarisches Schaffen immer auf Versöhnung und Verständigung aus. Eine langjährige, tiefe Freundschaft verband ihn mit Altkanzler Helmut Schmidt. “Deutschlands Gewissen” nannte ihn sein israelischer Kollege und Freund Amos Oz. Politisch engagierte sich Lenz für die Aussöhnung mit Polen. 1970 begleitete er mit Günter Grass den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrags. Immer wieder mahnte er die Solidarität mit Israel an, so zum Beispiel, als der damalige irakische Diktator Saddam Hussein drohte, den jüdischen Staat zu bombardieren.
Für sein Werk wurde Siegfried Lenz unter anderem mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt am Main, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und dem Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte ausgezeichnet. Der Büchner-Preis oder gar der Nobelpreis, blieb ihm, anders als den beiden anderen Autoren des Dreigestirns, Böll und Grass, verwehrt.
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