Missionare sind das Rückgrat der Kirche

Dank weltkirchlicher Solidarität kann die katholische Kirche in Albanien die Not der Menschen lindern, wo der Staat noch immer versagt

Von Stephan Baier

Tirana/Lezha, Die Tagespost, 19. September 2014

“Auch das ist das Haus Gottes”, sagt Vladimir, als wir durch ein hellblaues Blechtor in den kargen Kellerraum hinuntersteigen, der in dieser armen Vorstadtsiedlung von Tirana als katholische Kirche genutzt wird. An der Wand hängen ein Kreuz, der Kreuzweg und eine alte Uhr. Von der Decke baumeln drei Glühbirnen. Die kleinen Kellerfenster sind vergittert. Zwei Schwestern von Mutter Teresas “Missionarinnen der Nächstenliebe” haben gerade den Katechismusunterricht beendet und bereiten den Altar für die Messe. Der Niederländer Henry Veldkamp, der vor 22 Jahren als Laie nach Albanien kam und seit 1998 hier als Priester wirkt, scherzt mit den muslimischen Buben am Blechtor.

Die bis 1991 währende kommunistische Glaubensverfolgung hat die Kirche zwar nicht völlig ausgelöscht, aber doch sehr geschwächt. Ohne das Wirken von ausländischen Missionaren wie “Don Henry“ könnte sie auch heute ihre vielfältigen pastoralen und sozialen Aktivitäten nicht aufrecht halten. Da ist etwa das 2005 eröffnete “Haus Bethanien“ am Stadtrand von Tirana, das Papst Franziskus vor seinem Rückflug nach Rom am Sonntagabend besuchen wird. Rund 70 albanische Kinder aus armen, zerbrochenen oder problembeladenen Familien werden hier betreut. Nicht nur die Gründerin, Antonetta Vitale, stammt aus Italien, sondern auch der Seelsorger, Francesco Guarnati, und alle freiwilligen Helfer und Spenden.

Italienischer Abstammung ist auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz und Erzbischof von Shkodra, Angelo Massafra, der meint, der Papst erlebe in Albanien “eine sehr lebendige Kirche, die wir in 20 Jahren aufgebaut haben“.

Italiener sind auch die Rogationistenpatres, die mit Hilfe von “Renovabis“ und italienischen Sponsoren in der von Armut und Arbeitslosigkeit geprägten Stadt Lezha Bildungseinrichtungen aufgebaut haben. Sie betreiben eine berufsbildende Schule, die auch viele Kinder von Muslimen, Orthodoxen und Roma besuchen.

Pater Antonio Leuci schildert die Probleme bei der Integration der Roma, denen fast keiner eine Wohnung vermieten will und die in schmutzigen Baracken neben den Neubausiedlungen hausen. “Sie schicken ihre Buben arbeiten. Die Mädchen werden spätestens mit 15 Jahren verheiratet, dann bekommen sie viele Kinder.” Erstmals hätten in diesem Jahr Roma-Kinder die Schule erfolgreich abgeschlossen. Mit den Eltern schliesse er einen Vertrag, den er “Pakt für dein Kind“ nennt: “Der Vater verpflichtet sich, sein Kind jeden Tag zur Schule zu schicken. Und die Mädchen dürfen nicht betteln.“ Sponsoren dafür zu bekommen, sei für ihn noch nie ein Problem gewesen. “Wir haben nur ein Ziel: ihnen eine Würde zu geben!“ Manchmal setze auch bei den Eltern ein Mentalitätswechsel ein, sagt Pater Antonio, der davon überzeugt ist, dass die Zukunft dieser Kinder von ihrer Ausbildung abhängt.

Seine Schule bietet auch EDV-Kurse, Fremdsprachen und Sport. Weil es innerhalb der Familien viel Gewalt, Unterdrückung und Zwangsheiraten gebe, betreut eine Schulpsychologin die Mädchen. Die Ausbildung der Mädchen relativiere die patriarchalen Strukturen, hofft Pater Antonio. “Wir geben ihnen einen besseren Lebensstil.“

Gleich neben der stetig erweiterten Schule betreibt die Kirche eine Schneiderei, in der Messgewänder, traditionelle Kostüme und Hüte gefertigt und verkauft werden. Die Rogationistenpatres sind in Lezha, wo 60 Prozent der Einwohner katholisch sind, auch in der Jugendpastoral tätig, sorgen sich um Menschen mit Behinderung, betreuen das Krankenhaus. Ganz “nebenbei“, so scheint es, ist Pater Antonio Leuci noch Generalvikar.

Der weibliche Zweig seines Ordens betreibt mit 30 Lehrern eine Integrationsschule für mittlerweile 430 taubstumme Kinder. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art in Albanien. Ebenfalls aus Italien stammen die drei Salesianerinnen, die seit 1991 in Albanien tätig sind und in drei Städten Frauen und Mädchen in Krisensituationen Schutz, Hilfe und Weiterbildung anbieten.

Auch die gebürtige Frankfurterin Mirjam Beike sorgt sich seit vier Jahren um albanische Frauen in Not: Mädchen würden oft jung verheiratet, dann in den Familien oder in Betrieben ausgebeutet, erzählt sie. Durch die Vermittlung qualifizierter Ausbildung verhilft die dynamische Ordensfrau diesen Frauen zu einem besseren Leben.

Schwester Mirjam Beike gibt Einblick in das Drama der Prostitution: Da seien Männer, die durch die Dörfer ziehen, sich mit jungen, hübschen Mädchen verloben und deren Eltern erzählen, sie könnten ihrer Tochter ein gutes Leben in der Stadt bieten. Dort schicken sie die Mädchen auf den Strich. “Die meisten Prostituierten bleiben im Land selbst, doch viele werden auch ins Ausland verkauft.“ Wege aus Prostitution und Mädchenhandel zu finden, ist nicht leicht, auch wenn es Notrufnummern, Schutzwohnungen, medizinische Hilfe und Kurse zur Persönlichkeitsentwicklung gibt. Der Staat versagt im Kampf gegen die organisierte Kriminalität, die Herkunftsfamilien sind arm und die betroffenen Frauen oft traumatisiert und ganz verfangen in ihrer Opferrolle.

Schwester Mirjam Beike führt am Stadtrand Tiranas durch eine hastig errichtete Wellblechkirche mit Beton-Glockenturm, wo die Franziskaner eine rasch wachsende Neubausiedlung betreuen. Die Frauen und die Kinder kämen gerne zur Sonntagsmesse. Die Priester appellieren jetzt an die Frauen, auch ihre Männer mitzubringen. Schwester Mirjam betreut auch die Kinderkatechese. “Was hier einmal Frucht trägt, weiss ich nicht. Jesus hatte auch keinen Erfolg!“, lacht sie.

Die deutsche Schwester Christina und ihre Schweizer Mitschwester Michaela von der 1990 gegründeten “Spirituellen Weggemeinschaft“ gehören seit zehn Jahren zu jenen Missionarinnen, ohne die die Seelsorge in Albanien undenkbar wäre. In Dobrac, einem Vorort von Shkodra, kümmern sie sich um die marginalisierten Zuzügler aus den Bergdörfern, um Opfer der Blutrache, um Arbeitslose, Frauen in Not und Jugendliche.

Die tatkräftigen Schwestern unterscheiden nicht lange zwischen pastoral und sozial, sondern packen zu, wo sie Not wahrnehmen, pflegen Kranke, füttern Hungernde, trösten Trauernde, versuchen zerstrittene Familien zu versöhnen, begleiten Sterbende. Darunter sind viele Muslime. Es komme da oft zu tiefen Begegnungen – “wenn man sie nicht alleine lässt“, sagt Schwester Christina Färber.

Die Schwestern kümmern sich auch um die Opfer eines korrupten und rückständigen “Gesundheitssystems“. Da ist etwa der kleine Abraham, den das Krankenhauspersonal einfach sterben lassen wollte, weil er mit einer Gaumenspalte und einem Herzfehler zur Welt kam. “Ihr habt ein Wesen, das halb Tier und halb Mensch ist, geboren. Wir werden es für euch entsorgen“, so habe man dem verzweifelten Vater im Krankenhaus gesagt, erzählt Schwester Christina Färber. Die Schwestern nahmen den Buben daraufhin zu sich. Er wächst bei ihnen auf – in Sicherheit und Geborenheit.

Der Bischof von Sapa, Lucian Avgustini, ist kein ausländischer Missionar, sondern ein Albaner aus dem Kosovo. Im Juli verlieh ihm der Staatspräsident Albaniens die höchste Auszeichnung für humanitäres Engagement, den “Mutter Teresa Preis“. Bescheiden sagt der Bischof: “Das gilt der sozialen Arbeit, die die Kirche hier seit 20 Jahren macht!“ Tatsächlich ist die katholische Kirche, die selbst von Priestern und Spenden aus Italien und Deutschland abhängt, in Albanien bis heute ein Lückenbüsser, der leistet, was der Staat versäumt.

Bischof Avgustini führt uns durch sein mit Hilfe von “Renovabis“ und “Kirche in Not“ geschaffenes “Haus der Nächstenliebe“, wo ihn eine alte Frau ebenso liebevoll begrüsst wie die körperlich behinderten Kinder. “Unser Dom ist Mutter Teresa geweiht. Da müssen wir doch auch Konkretes in ihrem Sinn machen“, sagt der jugendlich wirkende Bischof.

Weil der Staat weitgehend versagt, sorgt sich die Kirche um Heime für Kinder, Alte und Behinderte, bietet in Sozialzentren Schutz und Beratung, vermittelt in Schulen und Kindergärten jene Bildung, die der nachwachsenden Generation aus dem Elend helfen soll. Und das ist – 23 Jahre nach dem Ende der kommunistischen Terrorherrschaft – nach wie vor allgegenwärtig. Ein Sechstel der Einwohner Albaniens lebt in grosser Armut. Die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 13,3 Prozent, tatsächlich jedoch viel höher. Breite Massen können von ihren Einkommen oder den unregelmässig ausbezahlten Renten nicht überleben. Also suchen sie ihr Glück in der Ferne: Aus den Bergdörfern des Nordens ziehen junge Leute in die Städte, aus den Städten ziehen viele ins Ausland. “Amerika ist für die Albaner das ferne Paradies; Deutschland ist das nahe“, sagt eine Diplomatin.

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