Amerika allmächtig

Bekanntlich geht in der Demokratie alle Macht vom Volke aus

Die Tagespost, 04.07.2014, Von Stefan Rehder

Wer immer noch keine Angst vor den USA zu entwickeln vermag, hat noch nicht verstanden, was der frühere Mitarbeiter der National Security Agency (NSA) William Binney bei seiner Vernehmung vor dem NSA-Untersuchungsausschuss gesagt hat. Wollte man Binneys Aussage, der dem US-Auslandsgeheimdienst 30 Jahre lang – zuletzt als Technischer Direktor – diente, in einem Satz zusammenfassen, so könnte dieser lauten: Die NSA-Affäre ist keine Spionage-Affäre, sondern der Anfang vom Ende der Demokratie. Bekanntlich geht in der Demokratie alle Macht vom Volke aus.

Da es sich jedoch unmöglich selbst regieren kann, wählt es aus seinen Reihen Vertreter und beauftragt diese, für einen zeitlich begrenzten Zeitraum mit der Regierung seiner selbst. Weil das Volk die mit der Regierung betrauten Vertreter genauso wenig, wie es sich selbst zu regieren vermag, ständig kontrollieren kann, hat es sich eine Verfassung gegeben, an welche die gewählten Volksvertreter gebunden sind und die den Rahmen absteckt, in dem sich die Regierenden, die zudem Mehrheiten zur Durchsetzung ihrer Vorhaben benötigen, bewegen können. In Deutschland sollen zudem Bundespräsident und Bundesverfassungsgericht darüber wachen, dass dieser Rahmen tatsächlich eingehalten wird. Die Selbstunterwerfung des Volkes unter die zeitlich wie inhaltlich begrenzte Regierungsmacht ist also vielfach gesichert. In einem solchen Rahmen haben auch Geheimdienste ihren legitimen Platz. Sie sollen mögliche Gefahren, die Regierung und Volk von innen oder aussen drohen, frühzeitig erkennen und abwehren. Dazu werden sie mit Befugnissen ausgestattet, die weit über das hinausgehen, was allen anderen Angestellten des Volkes erlaubt ist und einer parlamentarischen Kontrolle unterworfen. So weit, so gut.

Glaubt man Binney und Snowden, dann hat die NSA einen solchen Rahmen nicht etwa bloss hier und da übertreten, sondern absichtlich und dauerhaft verlassen. Aus der Jagd auf Terroristen ist nach dem 11. September 2001 eine Totalüberwachung geworden. Eine, die unbescholtene Bürger des eigenen Volkes genauso ins Visier nimmt wie feindliche Mächte. Eine, die das dabei gewonnene Wissen auf vielfache Weise einsetzt, zur Verhinderung von Anschlägen sowie zur Wirtschaftsspionage oder zur Durchsetzung der eigenen Interessen bei politischen Verhandlungen. Eine – und das ist das Schlimmste – bei der sich die Angestellten eines Volkes systematisch und permanent über die von der Verfassung garantierten Grundrechte ihres eigentlichen Arbeitgebers hinwegsetzen. Man hat Binney und Snowden Verrat vorgeworfen. Aber Verrat an wem? Nein, Binney und Snowden haben niemanden verraten, sondern jene “angezeigt”, die täglich und vorsätzlich das Volk und die Verfassung verraten.

Vielen – auch Deutschen – scheint das egal zu sein. Solange sie nur nicht selbst Opfer eines Terroranschlags werden. Nur erobert – wie man sieht – trotz Totalüberwachung eine Armee aus Terroristen den Nordirak und ruft einen Staat aus, der den ohnehin labilen Nahen Osten weiter destabilisiert. Nicht Bürgerrechte gegen Sicherheit ist der Tausch, den die NSA und womöglich auch andere Geheimdienste uns anbieten. Getauscht wird vielmehr Demokratie und Freiheit gegen eine Illusion von Sicherheit. Dem kann niemand zustimmen.

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