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Voyeurismus

HoffnungReisserische Formate wie das “Dschungelcamp” werden nicht nur in der Boulevardpresse gefeiert. Von Burkhardt Gorissen

Die Tagespost, 29. Januar 2014

Bei den Privatsendern dominieren Sendungen, die sich bis zum totalen Niveauverlust bewegen. RTL fokussiert diese Trash-Formate auf niedrigste Instinkte. Sinnfreie “Prüfungen”, wie das Verspeisen von Kakerlaken oder sich von Mehlwürmern überschütten zu lassen, erinnern an das Ekeltraining in Satanistenvereinigungen und bezeugen die Dekadenz der Postmoderne.

In diesem Debilprogramm präsentieren sich Möchtegernprominente und ausrangierte Stars der bittersten Sorte. Allesamt erscheinen sie wie völlig überzogene Karikaturen von Menschen, die an einer schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden. Überdies sind sie scheinbar völlig schmerzfrei und verlieren früher oder später den letzten Rest Anstand. Viel widerwärtiger als der Ekel-Mix wirkt der menschenverachtende Menschenzirkus. Doch das ist Kalkül. Die als Realität getarnte Inszenierung macht es schliesslich für das Publikum so spannend. Nichts darf dem Zufall überlassen werden. Dafür sorgen schon die Exklusivverträge mit Marketing-Agenturen und Boulevard-Magazinen. Kleine Skandale gehören zu den gängigsten PR-Instrumenten der Medienindustrie. Schliesslich geht es bei den schmierigen Schicksalsstorys darum, Schadenfreude zu generieren – und eine Menge Geld. Immer neue Grenzüberschreitungen beweisen dabei die wachsende Verrohung unserer Gesellschaft. Einerseits wird alles brutalisiert, andererseits ist alles tumber Quatsch. Auch das ist Kalkül. Entwürdigung im Namen der Unterhaltung, so lautet die perfide Logik, mit der Fernsehen heute gemacht wird.

Moderiert wird das Dschungelcamp von der aufgedrehten Sonja Zietlow und dem als Nerd-Dummie plappernden Daniel Hartwich, bei denen das Fremdschäm-Thermometer immer Gefahr läuft zu explodieren. Ihre abgefeimten Zoten denken sich die beiden natürlich nicht selbst aus, sondern lernen nur brav auswendig, was ihnen das Autorenteam auf den Leib schreibt. Ansonsten wird es noch peinlicher; Sonja Zietlow beschreibt ihre Empfindungen über den “Dschungelcamp 2014”-Ausstieg von Michael Wendler so: “Als ich das gesehen habe, ich habe es live verfolgt über den Monitor, da war ich ein bisschen angewidert. Ich fand das ganz schlecht und ganz schlimm und sehr schade. Für ihn, nicht für uns!” – soviel Dummdeutsch ist glatt Fernsehpreis-verdächtig.

Immerhin, eine gewaltige Zahl von über sieben Millionen Zuschauern verfolgt täglich das Geschehen in der achten Staffel der RTL-Show. Vorbei die Zeiten, als eine kritische Berichterstattung angesichts der Verrohung der TV-Sitten lautstark den Untergang des Abendlandes befürchteten. Die “Bild”-Zeitung berichtet in ihrer Online-Ausgabe täglich aus dem Dschungelcamp und allabendlich per Lifestream, wobei die Zuschauer beim Life-Chat ihre Kommentare absondern dürfen. Soviel interaktive Demokratie muss sein. Täglich grüsst “Spiegel-Online” das Dschungelcamp – selbstverständlich auch hier Hofberichterstattung. Selbst die altehrwürdige FAZ und die “Süddeutsche Zeitung” berichten in unregelmässigen Abständen sinnfrei über das Dschungelcamp, wenn auch mit einem Hauch intellektueller Ironie. Seit den ersten Ausstrahlungen des “Dschungelcamps” hat sich viel in der Berichterstattung geändert. Anfangs fasste man sich in den seriösen Zeitungen noch an den Kopf über die Zumutungen für die Zuschauer. Diese Distanz ist weitgehend verschwunden. Die Groteske wird als gesellschaftliches Ereignis akzeptiert. Man muss nicht kulturpessimistisch sein, um darauf hinzuweisen, dass Qualität eine Illusion der Vergangenheit ist. Die Massenmedien ebnen den Weg zur geistigen Umnachtung. Dabei rutschten sie selbst immer weiter den glatten Abhang des Relativismus herab. Derweil stellt das Dschungelcamp einen neuen Tiefpunkt eines menschenverachtenden TV-System dar. Die aktuellen Schlagzeilen, die uns dazu erreichen, sagen viel aus über den Zynismus derer, die sie produzieren, auch über den geistigen Zustand unserer Republik.

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