Papst Paradox

33 Tage im Amt

ParadoxPapst Franziskus ist 33 Tage im Amt und zieht Sonntag für Sonntag mehr Pilger auf den Petersplatz. Gestern waren es schon über 80.000. Jorge Mario Bergoglio hat stolz wie ein Erbe von seinem Hof Besitz ergriffen.

Von Paul Badde, Die Welt

Vatikan, kath.net/Die Welt, 15. April 2013

 Papst Franziskus setzt Ausrufezeichen wie ein Spanier, eins vor dem Satz und eins danach. Das fällt 33 Tage nach seiner Wahl vielleicht am meisten auf. Benedikt XVI. war am Schluss wie ein Kaiser zurückgetreten.

Jorge Mario Bergoglio hingegen hat sich sogleich so benannt, wie vor ihm sonst nur Könige und Kaiser hiessen. Franziskus: Kein Papst hatte es bislang gewagt, diesen Namen zu wählen. Seitdem scheint seine Anziehungskraft keine Grenzen mehr zu kennen.

Seit das argentinische Blau-Weiss das bayerische Weiss-Blau auf dem Petersplatz abgelöst hat, zieht er Sonntag für Sonntag mehr Menschen nach Rom. Gestern stauten sie sich vom Petersdom bis zum Tiber, stärker als bei Heiligsprechungen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Franziskus-Effekt in den Medien. Kein Wort mehr von Skandalen, von der Vatikan-Bank, von Vatileaks. Stattdessen macht plötzlich die päpstliche Bescheidenheit Schlagzeilen – und sein Erbarmen.

In quasi göttlicher Ironie hat Benedikt durch seinen Rücktritt seinen Gegenkandidaten aus dem Konklave von 2005 auf den Stuhl Petri gerufen. Eine “Korrektur des Schicksals” wird man den Schritt dennoch nicht nennen können. Der Gegenkandidat von damals ist kein Gegenspieler.

Der Versuch, einen theologischen Gegensatz zwischen den beiden zu konstruieren, bleibt untauglich.

Am Karsamstag sprach Franziskus über das Turiner Grabtuch, als würde er darin wie in einer Schriftrolle lesen, die in heiliger Bilderschrift von der Passion des Gottessohnes erzählt. So hatte es auch Benedikt XVI. am 2. Mai 2010 getan. Beide rühmen und ehren das “barmherzige Gesicht Gottes”. – “Die Heilige Überlieferung und die Heilige Schrift sind eng miteinander verbunden und haben aneinander Anteil,” sagte Franziskus vor Tagen. “Deshalb schöpft die Kirche ihre Gewissheit über alles Geoffenbarte nicht aus der Heiligen Schrift allein. Schrift und Überlieferung sollen daher mit gleicher Liebe und Achtung angenommen und verehrt werden“. Anders hätte es auch Benedikt nicht gesagt.

Inhaltlich passt kein Blatt Papier zwischen den Pastor aus der Pampa und den Professor aus Deutschland. Die digitale Welt ist ihnen gemeinsam fremd. Beide Nachfolger Petri sind durch und durch katholisch und teilen sich ihre Lieblingsheiligen (den grossen Augustinus und die kleine Thérèse von Lisieux). Dennoch könnten sie kaum verschiedener sein.

Es passt kein Papier zwischen die beiden, doch die Welt von Papst Franziskus ist nicht die Welt des Papiers und war es wohl noch nie. “Was macht er denn im Gästehaus des Vatikans mit seiner Bibliothek?”, soll sein hochgelehrter Vorgänger vor Tagen in Castel Gandolfo gefragt haben. Doch der neue Papst ist ohne Bibliothek über den Atlantik gekommen, als hätte er seine Autoren im Kopf – von denen er allerdings nicht wenige mit Benedikt teilt: Léon Bloy, die Poesie Hölderlins, die “Göttliche Komödie” Dante Alighieris, das Gesamtwerk Dostojewskis. Dazu Jorge Luis Borges (1899–1986), Argentiniens blinden Dichter, Bibliothekar und Agnostiker, “der jeden Abend ein Vaterunser sprach, weil er das seiner Mutter versprochen hatte”.

Mehr als Bibliotheken aber war wohl immer die Welt der Zeichen und Signale das Zuhause Bergoglios. Das aber ist in der römisch-katholischen Kirche, deren Liturgie im Kern aus göttlicher Zeichensprache besteht, natürlich von höchster Bedeutung. Es ist ein subtiles semantisches Gesamtkunstwerk, in dem sich der Papst aus Buenos Aires nun im Petersdom so unbekümmert bewegt wie in einer Stadtrandpfarrei. In der Liturgie des Karfreitags lässt er kurzerhand den alten Ritus der Kreuzenthüllung entfallen und verharrt dafür nur ausgestreckt liegend auf dem Boden, als wolle er die Kameras, deren Bilder am Abend um die Welt gehen, fast schlafwandlerisch auf diesen Moment der Prostratio fokussieren.

Benedikt XVI. hat ein Jahr nach seinem Amtsantritt von den traditionellen neun Titeln des Papstes (Bischof von Rom, Stellvertreter Jesu Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, Höchster Brückenbauer der universalen Kirche, Patriarch des Westens, Primas Italiens, Erzbischof und Metropolit der römischen Provinz, Souverän des Staates der Vatikanstadt, Knecht der Knechte Gottes) den Titel Patriarch des Westens ersatzlos abgeschafft. Sein Nachfolger, ein Vollblutpapst, nennt sich bislang vor allem nur Bischof von Rom. Kein Wunder, dass Nikolaus Schneider, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, nach seiner Audienz bei ihm über ein Gespräch auf “gleicher Augenhöhe” schwärmte. Das klang im September 2011 allerdings noch ganz anders, als Benedikt XVI. demselben Präses in einer spektakulären Geste bis in die Lutherstadt Erfurt entgegengekommen war – und dabei eine Rede hielt, aus der Papst Franziskus aus Buenos Aires nun reichlich zitierte. Pontifex Paradox.

Der Papst aus dem Land Luthers hatte sich zudem ganz und gar unter das Papstamt gestellt. Die bestickten Paramente, die er in seinen Messfeiern trug, stammten samt und sonders aus der päpstlichen Sakristei und von seinen Vorgängern. Benedikt trug sie, wie er schon als Bub in Traunstein die Hosen und Hemden seines älteren Bruders Georg auftrug. Die prachtvollsten seiner Gewänder stammten von dem Konzilspapst Johannes XXIII. Die roten päpstlichen Schuhe liess er sich für wenig Geld von einem Indio im Borgo neben dem Vatikan fertigen. Seine Bescheidenheit liess sich kaum übertreffen. Nur seine Messfeiern waren so reich, als hielte er sich dabei streng an das Testament des heiligen Franz von Assisi, in dem der heilige Bettler verlangt: “Die Kelche, den Altarschmuck und alles, was zum Opfer gehört, sollen die Priester in kostbarer Ausführung haben.” Denn der Mensch, auch der arme Mensch, lebt nicht vom Brot allein. Er braucht nicht weniger das Kostbare und Kostbarste: das Heilige.

Benedikt XVI. war scheu, egal, wie kraftvoll gregorianisch er zu singen wusste. Franziskus hat gegen ihn eine mehr hauchende Stimme, die ihm das Singen versagt – und strotzt vor Selbstbewusstsein. Mit dem Papstamt geht er vom ersten Tag an um wie ein stolzer Erbe, der aus dem Ausland zurück auf den Hof des Vaters kommt. Dass er sich unter das Papstamt und unter die Tradition stellt, kann keiner sagen. Er macht bisher damit, was er will. In den Apostolischen Palast will der bescheidene Mann erst gar nicht ziehen. Damit hat er nun zwei Residenzen, mit reichlich Mehrkosten und einem doppelt aufwendigen Sicherheitsapparat. Er liebt die Kollegialität, aber entscheidet doch völlig souverän.

Benedikt XVI. war schon als Kardinal eine Ikone in Rom. Franziskus hingegen hat immer noch viele Gesichter. Mit sanfter Stimme ist er so autoritär wie keiner der neun Päpste der letzten hundert Jahre. Die “Brüder Kardinäle” haben ihn wohl genau aus diesem Grund so rasch mit überwältigender Mehrheit gewählt. Papst kann er. Es ist, als hätte das Amt geradezu auf ihn gewartet. Bischof von Rom zu sein, mit der reichsten Tradition aller Bischofssitze der Erde, muss er noch ein wenig üben. Er wird es sicher bald gelernt haben.

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