Luis Tagle – der Kardinal, der nicht Papst werden will

Er ist eines der erfrischendsten Gesichter der katholischen Weltkirche

Luis Kardinal Tagle von den Philippinen ist charismatisch, mutig und intelligent. Doch er betet dafür, nicht Papst zu werden. Von Paul Badde (Die Welt)

Vatikan, kath.net/Die Welt, 8. März 2013

Als Benedikt XVI. bei seinem Abschied am letzten Donnerstag auch manchem Freund und Brutus unter seinen Kardinälen freundlich die Hand schüttelte, fiel aus der langen Reihe des vornehmen Kollegiums besonders ein kleinerer Mann aus Asien auf, der dem scheidenden Oberhirten ein paar Worte ins Ohr flüsterte und dann so schallend in der Sala Clementina auflachte, dass sich viele nach ihm umdrehten.

Was er ihm zugeflüstert hat, werden wir wohl nie erfahren. Nur über seine Identität gab es danach keinen Zweifel mehr. Lachen ist ein Markenzeichen von Luis Antonio Gokim Kardinal Tagles aus Manila. Der 55-Jährige ist der Jüngste im Senat der katholischen Weltkirche, und das spricht bei manchem auch schon gegen seine Eignung, weil viele sich am liebsten nicht noch einmal auf ein so ewig langes Pontifikat einlassen möchten wie unter Johannes Paul II.

Doch ansonsten ist der Erzbischof von Manila die Hoffnung vieler Katholiken nicht nur in den Philippinen, sondern in ganz Asien. Fiele das Los der “Herren Kardinäle” auf ihn, wäre der charismatische Filipino nicht nur der erste Papst aus der grössten katholischen Nation Asiens. Er wäre auch der erste Pontifex maximus, der fliessend Mandarin spricht. Chinesisch ist seine Muttersprache.

Tagle ist zudem einer der letzten von Benedikt XVI. selbst erhobenen Kardinäle, der ihn erst im letzten Herbst “kreiert” hat. Es gibt aber ein Foto, das zeigt, wie Johannes Paul II. den jungen Priester schon 1997 zusammen mit Kardinal Ratzinger höchst interessiert betrachtet.

Verstand und Demut

Am letzten Samstag, als in Rom das heimliche Beraten der Kardinäle schon im vollen Gange war, machte Tagle sich deshalb im Vatikan noch einmal rar und begab sich stattdessen allein auf eine Pilgerreise zum Grab Pater Pios nach San Giovanni Rotondo in Apulien, um dort den grössten Volksheiligen Italiens um seine Fürsprache für die Wahl des nächsten Papstes anzurufen und bei den himmlischen Mächten auch ein Wort für sich selbst einzulegen, dass er nicht zum Nachfolger Petri gewählt werden wird.

Denn kein Mann von Verstand kann sich jemals wünschen, Papst zu werden. Menschlich gesehen ist die Position für jeden Kandidaten eine komplette Überforderung – und Tagle hat zu seinem scharfen Verstand und einem makellosen Charakter auch eine Demut, die der des letzten Papstes kaum nachsteht. Als Benedikt XVI. ihm am 24. November 2012 im Petersdom über dem Grab des Apostels das purpurrote Birett aufsetzte, brach der sonst so redegewandte Bischof nur noch in Tränen aus und geriet ins Stammeln, weil er sich “nicht würdig” fühlte für seine neue Aufgabe – während der alte Papst sein Gesicht wie ein Vater in beide Hände nahm, um ihn wie einen Sohn zu trösten. Im Himmel mag Pater Pio wohl für ihn eintreten, hier auf Erden hat er in Joseph Ratzinger immer seinen bedeutendsten Fürsprecher gehabt.

Furchtlos und kämpferisch

“Chito”, wie Tagle daheim genannt wird, ist eines der erfrischendsten neuen Gesichter der katholischen Weltkirche. In den Philippinen wird erzählt, dass er mit drei Jahren schon den Rosenkranz beten konnte. Besser dokumentiert ist die akademische und seelsorgerische Karriere des Hochbegabten. Nach einem Studium der Theologie in Manila wurde er 1982 zum Priester geweiht und als Spiritual des Priesterseminars von Imus rasch selbst ein Ausbilder des Priesternachwuchses.

Von 1987 bis 1991 promovierte er in Amerika (“summa cum laude”) zu einem Doktor der Theologie, wurde Pfarrer und bald Mitglied der Internationalen Theologen-Kommission (von 1997 bis 2001), wo er Joseph Ratzinger persönlich kennenlernte. Im Oktober 2001 ernannte Johannes Paul II. ihn zum Bischof von Imus, der Vorstadt der Hauptstadt an der Manila Bay. Damals wählte Tagle auch sein Wappen, in dem das prall gefüllte Fischernetz der Apostel mit seinem Wahlspruch aus dem Evangelium zu sehen ist, wo Johannes zu Petrus sagt: “Es ist der Herr” (der bei diesem Fischfang gehandelt hat).

Diesen Herrn aber sieht und begreift Tagle auch immer mit dessen Mutter Maria, besonders der “Muttergottes von Guadalupe”, der erklärten Patronin der Philippinen. In dem Säkularisierungsschub, der das katholische Inselreich vor der Küste Vietnams und Chinas längst genauso erfasst hat wie alle Nationen des Westens, hat er zu ethischen und gesellschaftlich brisanten Streitfragen die katholische Position immer ebenso furchtlos und kämpferisch vertreten wie der Papst selbst.

Benedikt XVI. hat ihn im Oktober 2011 auch zum Erzbischof Manilas und zum Primas der Philippinen ernannt. Den Sitz nahm Tagle am 12. Dezember ein, dem Festtag der Muttergottes von Guadalupe, während der Papst erstmals in der Geschichte im Petersdom vor einer Kopie ihres berühmten Gnadenbildes am Bernini-Altar die Messe feierte.

Leben auf einer philippinischen Müllhalde

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