‘Wir brauchen den Mut zur Vernunft der Seele’
“Jahr des Glaubens” ist eine kostbare Chance
Gedanken zum Jahr des Glaubens. Bei der Veranstaltung von “Deutschland pro Papa” in Köln sprach Martin Lohmann
Köln, kath.net, 18. Oktober 2012
Das “Jahr des Glaubens” ist eine kostbare Chance. Und eine, die entweder genutzt werden kann oder aber sträflicherweise verpasst werden könnte. Es kommt auf die innere Haltung an, auf den Ausgangspunkt des Herzens, den wir zum Beginn des gerade eröffneten Jahres des Glaubens uns selber gönnen beziehungsweise zulassen. Davon wird abhängen, ob es zu kostbaren Wiederentdeckungen kommen wird und zur Entdeckung vergrabener Schätze. Oder aber zu Frustrationen und Schalheit. Daher sind die Koordinaten des Denkens und Glaubens so wichtig.
Zu ihnen gehört die simple und bleibend wahre Anerkennung der Erkenntnis, dass es keinen anderen Mittelpunkt geben kann als Jesus Christus. Der Sohn Gottes ist und bleibt Mitte und Ziel, er ist und bleibt der einzig wahre Massstab für Glauben und Kirche. Und sein Wort ist es, das in Treue zu ihm nichts als die Wahrheit verkündet. Er ist die wirkliche Porta Fidei, die Tür zum Glauben. Denn er ist es, dem wir die Türöffnung zum Himmel, zur Ewigkeit, zur Wahrheit, zum Leben und zur Freiheit verdanken. Daher “kann man nicht von der neuen Evangelisierung sprechen ohne eine aufrichtige Bereitschaft zur Umkehr” (Benedikt XVI.) zu ihm. Denn: “Sich mit Gott und dem Nächsten versöhnen zu lassen, ist der beste Weg der Neuevangelisierung”.
Es ist daher schon bemerkenswert, dass jetzt so manche meinen, ihren eigenen “Reformstau” in der Kirche für alle anderen markieren zu müssen glauben. Wie so häufig hört man dann stets dieselben Reizbegriffe, die seit Jahrzehnten wiederbelebt werden, wenn es um die Frohe Botschaft und ihr Heutigwerden (“Aggiornamento”) geht. Bloss: Geht es wirklich darum, die junge alte Kirche endlich weltlichen Erscheinungsmustern anzupassen? Oder geht es nicht vielmehr bei Reformen um wirkliche Reformatio, frei nach Ignatius von Loyola, der uns lehrt, das Deformierte zu reformieren? Deformatum reformare – um dann das Reformierte, das wieder in Form Gebrachte, zu confirmieren? Reformatum confirmare.
In diesem Sinne ist der päpstliche Weckruf anlässlich des 50. Geburtstages der Konzilseröffnung ein ebenso mutiges wie notwendiges Signal in unsere ansonsten doch so wenig ängstliche Zeit. Ratzinger als Konzilstheologe und letzter Konzilspapst lädt ein zu einem Jahr des wiederentdeckten Mutes christlicher Prägung, wieder zu lernen, was der christliche Glaube ist und ihn ohne falsche Scham zu bezeugen. Vielleicht besteht der einzige wirkliche Reformstau heute darin, dass Gott zu wenig angebetet wird! Vielleicht brauchen wir vor allem erst einmal die Auflösung eines Reformstaus, der dem Glauben das Geschenk des Vertrauens schmälert und zu sehr auf ein Selbermachen setzt. Vielleicht, nein, ganz sicher brauchen wir mehr gelebte Freundschaft mit dem Gottessohn und Herrn, mehr Anbetung und mehr Ehrfurcht. Ehrfurcht, so sagt man, sei der Kern der Liebe. Auch gegenüber Gott und seinem Sohn in der Eucharistie.
Es ist Zeit, die neue Freiheit zu erschliessen, von dem einladend und überzeugt zu reden, was einen noch oder wieder erfüllt. Es ist Zeit, Hemmungen abzulegen, die einen daran hindern, die Wahrheit der Freiheit und die Freiheit der Wahrheit zu sagen, zu erklären, zu leben und damit andere anzustecken. Wir brauchen im Jahr des Glaubens diesen Virus, das Feuer des Glaubens, das andere zu entfachen in der Lage ist, Christus in seiner Kirche zu lieben und ihm ganz selbstverständlich zu vertrauen. Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht, heisst es. Und: Die Wahrheit wird uns/euch freimachen. Veritas Liberabit Vos (Joh 8,32). Das stimmte nicht nur früher. Das stimmt auch heute und wird auch morgen wahr sein.
So gesehen brauchen wir den Mut zur Vernunft der Seele. Denn sie lebt – wie der Körper von Vitaminen und anderen Nährstoffen – vom Vitamin W, dem Vitamin der Wahrheit. Dann kann sie sich gesund entfalten. Es ist gut, dass auf der Bischofsynode in Rom immer wieder darauf verwiesen wird, wie sehr die Wieder- und Neuentdeckung des Sakramentes der Vergebung und der Heilung das wesentliche Mittel auf dem Weg zur Lebens-Verbindung mit dem barmherzigen Vater und seinem göttlichen Sohn ist. Diesen Raum wieder zu erschliessen und der Freiheit des Geistes eine Heimat zu bieten – das gehört zur Vernunft der Seele, in der sich die durch Wahrheit erschlossene Freiheit einzunisten wünscht.
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