Wolfgang Thierse: “Europa darf das nicht zulassen”
Einen politischen, aber keinen sportlichen Boykott:
Das hält Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse für die geeignete Reaktion auf den Umgang mit Ex-Regierungschefin Julija Timoschenko in der Ukraine. In Folge des abgesagten Ukraine-Besuches von Bundespräsident Joachim Gauck wird derzeit über verschiedene Formen eines Boykotts diskutiert. Bei einem Rombesuch betonte Thierse gegenüber Radio Vatikan:
“Ich halte es für richtig, wenn Politiker signalisieren, dass unter den gegenwärtigen Umständen – dass Menschenrechtsverletzungen stattfinden, dass die ehemalige Ministerpräsidentin offenbar politisch motiviert im Gefängnis sitzt und drakonische Strafen zu ertragen hat – dass also unter solchen Umständen sich Politiker nicht neben Herrn Janukowitsch hinsetzen und so tun als sei da nichts. Das wäre unangemessen. Also keinen sportlichen, aber einen politischen Boykott – warum auch nicht? Ein Land, das Mitglied der Europäischen Union werden will, darf sich nicht so benehmen, und wir Europäer dürfen das nicht zulassen.”
Wollen Medien und Politik mit der grossen Aufmerksamkeit, die sie dem Thema gerade jetzt widmen, davon ablenken, dass sie die Ukraine jahrelang vernachlässigt haben könnten?
Dem kann Thierse nicht zustimmen:
“So ist es ja nicht. Die Kritik an der ukrainischen Regierung ist nicht ganz neu. Nur sind jetzt wegen des sportlichen Grossereignisses die Scheinwerfer dorthin gerichtet. Da sieht man wieder, dass solche Grossereignisse auch ihren politischen Sinn haben. Sie versammeln Aufmerksamkeit. Und diejenigen, die sie zu sich holen, um sich damit zu schmücken, müssen nun ertragen, dass man genauer hinschaut, was in dem Land los ist.”
Bundestagsvizepräsident Thierse hält sich zur Zeit zu Gesprächen mit verschiedenen vatikanischen Ministerien in Rom auf, unter anderem traf er den Ökumene-Verantwortlichen des Vatikans, Kardinal Kurt Koch, Kardinal Jean-Louis Tauran vom Päpstlichen Rat für Interreligiösen Dialog, Kardinal Gianfranco Ravasi vom Päpstlichen Kulturrat sowie Kardinal Peter Turkson vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden. Ausserdem traf Thierse mit italienischen Politikern und mit Staatspräsident Giorgio Napolitano zusammen.
Rom, Radio Vatican, 03.05.2012 ord
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