Wie Papst Benedikt als Kind Weihnachten feierte

Papstbruder Georg Ratzinger über Weihnachten mit dem Bruder Joseph

Regensburg, kath.net/mh, 24. Dezember 2011, von Michael Hesemann

Die Erinnerung an das Weihnachten der Kindheit gehört zu den schönsten, die uns das Leben schenkt. Das gilt auch für den Papst. Prälat Georg Ratzinger, einst gefeierter Chorleiter der weltberühmten Regensburger Domspatzen, beschreibt im exklusiven kath.net-Interview mit Michael Hesemann die schönsten Weihnachtsmomente mit seinem Bruder Joseph.

kath.net: Herr Domkapellmeister, was ist Ihre früheste Erinnerung an ein Weihnachten mit Ihrem Bruder Joseph?

Georg Ratzinger: Die frühesten Erinnerungen stammen aus der Zeit, als wir noch in Marktl am Inn wohnten.

Dort wurde mein Bruder Joseph im April 1927, vor fast 85 Jahren also, geboren. Mein Vater war der Gendarm der Ortschaft und als solcher hatte er seine Dienstwohnung in einem geräumigen Haus am Marktplatz. Praktisch gegenüber lag das Kaufhaus Lechner, ein Gemischtwarengeschäft. Da sind wir – meine Schwester Maria rechts, ich links, und der kleine Joseph, der noch nicht alleine gehen konnte, in der Mitte – in der Adventszeit immer rübergegangen, um uns die Auslage in der festlich geschmückten Schaufenstervitrine anzuschauen. Dort lag nämlich, umgeben von Tannenzweigen, Goldpapier und Lametta, das Spielzeug, das sich die Kinder wünschen konnten. Was den kleinen Joseph am meisten faszinierte war ein Teddybär, der hat ganz freundlich geschaut. Wir sind dann jeden Tag hinübergegangen, bei Wind und Wetter, um das Teddybärle zu besuchen, denn es hat uns allen gefallen, doch am meisten hatte es mein Bruder in sein Herz geschlossen. So gerne hätte er es einmal in den Arm genommen! Doch eines Tages, es war kurz vor Weihnachten, war der Teddybär nicht mehr da. Da hat mein Bruder bitterlich geweint: “Das Teddybärle is nimma da!” Wir versuchten noch, ihn zu trösten, doch er war viel zu traurig und wir eigentlich auch.

Dann kam Weihnachten, kam die Bescherung. Als Joseph das festlich geschmückte Zimmer betrat, in dem der Weihnachtsbaum stand, lachte er laut auf vor Glück. Denn dort, wo die Geschenke für uns Kinder standen, lag das Teddybärle auf seinem Platz, das hatte ihm das Christkindl gebracht. Da hat er die grösste Freude gehabt. Das muss wohl im Dezember 1929 gewesen sein, als er noch nicht einmal zwei Jahre alt war. Denn im nächsten Jahr wurde mein Vater in die Kleinstadt Tittmoning versetzt, da sind wir umgezogen.

kath.net: Tittmoning bezeichnete Ihr Bruder einmal als “Traumland seiner Kindheit”. War es auch zu Weihnachten ein Wunderland?

Georg Ratzinger: Tittmoning war wirklich romantisch. Vor allem der Stadtplatz in der Adventszeit, wenn es dann noch schneite, war ein herrlicher Anblick, schon weil die Auslagen der Geschäfte so festlich geschmückt waren. In Marktl gab es ja nur ein Geschäft mit einer weihnachtlichen Auslage, das erwähnte Kaufhaus Lechner. Doch in Tittmoning reihte sich eines an das andere, was uns Kinder natürlich ungemein faszinierte und unsere Vorfreude auf das Fest ins Unermessliche steigerte. Aber viel wichtiger als das Äussere war uns natürlich die innere Vorbereitung auf das Fest, und die wurde in unserer Familie ganz gross geschrieben. Sie begann gleich mit dem Ersten Advent. Damals wurden die vorweihnachtlichen Rorate-Messen in unserer Pfarrkirche in Tittmoning um sechs Uhr früh gefeiert und die Priester trugen weisse Messgewänder. Normalerweise ist violett die Farbe der Messgewänder im Advent, doch das waren ganz besondere Votivmessen, auch “Engelämter” genannt, die an die Erscheinung des Engels bei der Gottesmutter Maria erinnern sollten und an ihre Worte: “Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte” (Lk 1,38). Als wir bereits zur Schule gingen, besuchten wir diese Messen frühmorgens, bevor der Unterricht begann. Draussen war es noch finsterste Nacht, alles war dunkel und die Menschen zitterten oft vor Kälte. Doch der warme Glanz des Gotteshauses entschädigte sie für das frühe Aufstehen und den Weg durch Schnee und Eis. Die dunkle Kirche wurde durch Kerzen und Wachsstöcke erhellt, die oft von den Gläubigen mitgebracht wurden und ihnen nicht nur Licht, sondern auch ein wenig Wärme spendeten. Danach sind wir zunächst heimgegangen, haben gefrühstückt und uns dann erst auf den Weg in die Schule gemacht. Diese Engelämter haben uns wunderbar auf Weihnachten hingeführt.

kath.net: Und dann kam der Heilige Abend! Wie haben Sie den gefeiert? Haben Sie eine Krippe gehabt?

 

Georg Ratzinger: Ja natürlich! An jedem 24. Dezember begannen wir gleich morgens damit, an unserer Familienkrippe zu basteln. Jedes Jahr waren wir darauf erpicht, sie noch mehr zu verschönern. Tittmoning liegt an der Salzach, und in diesem Fluss gab es Tuffsteine, die wir einsammelten. Das sind vulkanische Steine von ganz unterschiedlichem Aussehen, von denen einige Löcher hatten, andere gerippt, wieder andere mit starken, scharfen Kanten ausgestattet waren und mit denen man wunderbar die Krippe verzieren konnte. Wir haben damals einen ganzen Korb voller Tuffsteine mitgenommen und wunderschöne Hügellandschaften daraus gebaut. Mein Bruder ist heute noch im Besitz unserer Familienkrippe mit den Tuffsteinen aus Tittmoning, sie wird zur Weihnachtszeit im Esszimmer seines Appartements im Apostolischen Palast aufgestellt! Dann besorgten wir Tannenzweige, die den Hintergrund bildeten und in einem schönen Kontrast zu den gräulichen Steinen standen, und kratzten Moos von den Bäumen, das als Weide für die Schafe der Hirten diente. So erhielt unsere Krippe jedes Jahr ein etwas anderes Gesicht und wurde auch regelmässig ergänzt. Da hat die Mutter in manchem Jahr noch Figuren nachgekauft, etwa ein paar Schafe oder einen weiteren Hirten und einmal auch einen Hirtenhund.

kath.net: Und wie ging es dann weiter? Sie warteten ungeduldig auf die Bescherung?

Georg Ratzinger: Ja, wir waren ziemlich ungeduldig. So schickte uns unsere Mutter zunächst einmal raus, wir sollten spazieren gehen. Meist lag damals bei uns in Bayern tiefer Schnee, dann sind wir Schlitten gefahren, während die Mutter den Christbaum geschmückt hat. Am späten Nachmittag kehrten wir zurück, da wurde erst einmal der Rosenkranz gebetet. Das Rosenkranzgebet an sich war üblich in unserer Familie, oft täglich, zumindest aber an jedem Samstag. Da knieten wir uns auf dem Boden in der Küche nieder, jeder hatte einen Stuhl vor sich die Arme waren auf den Stuhl aufgestützt und einer von uns, meist der Vater, hat vorgebetet.
Nach dem Rosenkranzgebet hörten wir ein Glockenzeichen, ein Klingeln aus dem Wohnzimmer, das gegenüberlag. Dort stand der Christbaum, ein Fichtenbäumerl, mit den Geschenken auf dem Tisch. Dieser Anblick, der Glanz des Kerzenlichtes, hat uns immer tief beeindruckt. Wir benutzten echte Kerzen, die einen wunderbaren Duft verbreiteten. Der Baum war mit Kugeln, Engelshaar und Lametta geschmückt, ausserdem mit Sternen, Herzen und Kometen, die unsere Mutter aus Quittenmarmelade ausgeschnitten hatte. Dann hat der Vater das Evangelium vorgelesen, die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, und wir haben Weihnachtslieder gesungen: “Stille Nacht”, “Oh du fröhliche” und natürlich auch “Ihr Kinderlein kommet”. Einmal, 1936, ich war bereits auf dem Gymnasium, habe ich selbst eine kleine Komposition zu Weihnachten geschrieben. Die haben wir dann zu dritt vorgespielt, meine Schwester am Harmonium, mein Bruder am Klavier und ich mit der Geige. Die Mutter war zu Tränen gerührt, und auch der Vater, obwohl etwas nüchterner veranlagt, war beeindruckt. Fortan habe ich ein paar Jahre lang regelmässig etwas zu Weihnachten komponiert.

kath.net: Und dann folgte die Bescherung?

Georg Ratzinger: Ja, weil wir so ungeduldig waren, fand bei uns die Bescherung immer ein wenig früher statt, als bei anderen Familien. Sie hatte immer etwas Wunderbares an sich, etwas geradezu Märchenhaftes. Wir haben natürlich keine grossartigen Geschenke bekommen, sondern vor allem Sachen, die wir gebraucht haben, etwa Kleidungsstücke, Strümpfe, die unsere Mutter selbst für uns gestrickt hat, Mützen oder was uns eben gerade fehlte. Dazu bekam jeder noch einen Teller voll mit Plätzchen und gedörrten Zwetschgen, gedörrten Birnen und Kletzenbrot (Früchtebrot). Das waren wunderbare Sachen, da erinnern wir uns noch heute mit Freude daran.

kath.net: Bekamen Sie als Kinder denn keine Spielsachen?

Georg Ratzinger: Doch, natürlich, die bekamen wir auch. Wir haben uns zu Weihnachten auch immer etwas wünschen dürfen. Mein Bruder Joseph bekam meist Stofftiere geschenkt und ich Baukästen. So waren unsere Wünsche und Talente doch verschieden. Mein Bruder erhielt noch einen zweiten Teddybären, ein anderes Mal ein Pferd, eine Ente und einen Hund. Er war sehr tierlieb, deshalb schenkten die Eltern ihm immer Tiere. Aber auch eine Eisenbahn brachte ihm das Christkindl einmal. Als ich das erste Jahr im Internat war, bekam ich ein Choralbuch geschenkt, das ich für das Seminar brauchte, ein dickes Buch mit über tausend Seiten. Da waren die Noten und die lateinischen Texte der Choräle abgedruckt. Joseph war ganz beeindruckt, weil kein einziges deutsches Wort in dem dicken Buch stand, doch ich war ja bereits auf dem Gymnasium und hatte Lateinunterricht. Da wollte er ganz schnell auch Latein lernen; als er das endlich durfte, da war er in diesem Fach sehr viel besser als ich es je war!

kath.net: Und nach den Geschenken ging es dann gleich zur Christmette?

Georg Ratzinger: Nicht gleich, die fand ja damals erst um Mitternacht statt. Also bekamen wir Kinder zunächst einen Punsch serviert, der natürlich nicht zu stark war, und Plätzchen dazu. Danach mussten wir auch schon bald zu Bett gehen. Als wir etwas älter waren, sind wir dann um 23.00 Uhr wieder aufgestanden, damit wir um Mitternacht in der Kirche bei der Christmette sein konnten. Das war natürlich der festliche Höhepunkt der Weihnacht. Am ersten Weihnachtsfeiertag gab es dann morgens ein ganz besonders festliches Frühstück mit einem Christstollen und Bohnenkaffee, den unser Vater besonders gerne mochte und auf den er sich immer schon freute. Nachmittags um 14.00 Uhr besuchten wir noch eine Vesper, zu der auch der Kirchenchor sang und die immer sehr feierlich war. Weihnachten war in unserer Familie sehr vom tiefen Glauben unserer Eltern, aber auch dem religiösen Brauchtum unserer Heimat geprägt. So lernten wir schon früh von unseren Eltern, was es bedeutet, einen festen Halt im Glauben an Gott zu haben.

kath.net: Sie erzählen in Ihrem Buch “Mein Bruder, der Papst”, wie Ihre Familie über die Jahre hinweg, soweit es ging, immer Weihnachten zusammenkam und gemeinsam feierte. Nach dem Tod Ihrer Eltern behielten Sie drei Kinder diese Tradition bei, selbst als Ihr Bruder bereits von Papst Johannes Paul II. nach Rom abberufen worden war…

Georg Ratzinger: Ja, das ist richtig!

kath.net: Und wie ist es heute, feiern Sie heute auch noch mit dem Papst zusammen Weihnachten?

Georg Ratzinger: Nun, Heiligabend nimmer, da hat er zu viel zu tun. Aber natürlich fahre ich auch jetzt noch jedes Jahr zu Weihnachten nach Rom, allerdings erst am 28. Dezember, wenn die kirchlichen Weihnachtsfeiern vorbei sind, um dann bis zum 10. Januar zu bleiben. Wir verbringen also das Dreikönigsfest zusammen, das in Italien noch mehr gefeiert wird als in Deutschland, denn dort ist es, anders als bei uns, der Zeitpunkt der Bescherung. Die findet dann schon noch, wie seit jeher, vor der kleinen Krippe unserer geliebten Eltern statt, der mit den Tuffsteinen aus Tittmoning, die jetzt im Esszimmer seines Appartements im Vatikan steht.

kath.net: Dann wünschen wir Ihnen und natürlich dem Heiligen Vater ein frohes und gnadenreiches Weihnachtsfest!

Georg Ratzinger: Das wünsche ich Ihren Lesern von ganzem Herzen auch!

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