Mit Benedikt im Himmel
Matusseks Papst-Reise
Spiegel.online, 19.08.2011, Matthias Matussek
Früh aufstehen, früh anstellen, lange warten. Am zweiten Tag seiner Pilgerreise nach Madrid trifft Papst-Verehrer Matthias Matussek endlich mit Benedikt XVI. zusammen – auf ein paar Minuten im Flugzeug.
Man hat es diesem Tag nicht angesehen, morgens, dass er im Freudentaumel enden sollte. Nein, er sah so aus: Wer zu früh kommt den bestraft das Leben. Die Bilder vom Vorabend noch im Kopf, verheerend,1500 Demonstranten und prügelnde Idioten in Uniform und ich um 5 Uhr auf den Beinen. Weil ich der erste sein will, sein muss, denn es gibt in der Papst-Maschine keine Platzkarten.
Am Security-Check ein paar übermüdete Kollegen und Sr. Van Brantegem, unrasiert, barbarisch schlecht gelaunt, der Presse-Reiseleiter des Vatikans. Er lässt uns um 7 Uhr antreten in Reihe, “zur Generalprobe”. Zwischendurch brüllt er Flughafenpersonal zusammen. Er soll vor Jahren mal tatsächlich gelacht haben, heisst es. Aber es gibt keine Zeugen. Er ist dazu wohl in diesen Keller runtergestiegen, wo die Leute angekettet sind, die ihm widersprochen haben.
Da sass ich nun in der Machine. Und wurde zum Ketzer. Der Papst wird, so heisst es, kurz vor Abflug mit einem Audi zur Maschine gefahren. Mit der Limousine zum Flugzeug! Und wir stellen uns drei Stunden zu früh an. Gut, er ist alt, aber Jesus ist gelaufen, und zwar in Sandalen! Überhaupt der ganze Prunk. Bloss weil er Papst ist!
Knapp zwei Stunden später hat sich die Bühne gedreht. Die Frühstückstabletts in der Alitalia-Maschine (Quiche und Parmaschinken) sind abgeräumt, das Pressecorps aufgekratzt, plötzlich wird der Vorhang zur ersten Klasse beiseite geschoben, und da steht, klein und weiss und lächelnd, Benedetto.
Wo sind meine Fragen?! An seiner Seite Pater Lombardi, der Pressechef, hinter ihm Georg Gänswein, der Sekretär. Vier Fragen sind zugelassen, meine ist nicht darunter, doch der Papst benutzt sie ohnehin nur als Stichworte, um alles zu beantworten, Gott und die Welt. Was folgt, sind geschliffen formulierte Kurzessays, ein Seminar über die Freiheit und die Wahrheit in 13.000 Metern Höhe, über die Wirtschaft und ihren Nutzen und das Wort Gottes. Die Wirtschaft funktioniert nicht ohne Ethik. Sagt der Papst. Nur Profit geht nicht, sie muss das Gute für den Menschen wollen. Das ist bei ihm kein philosophisches, sondern ein ökonomisches Axiom. Es ist beides.
Jeder Jugendliche braucht einen Job. Nur mit Job kann er eine Familie gründen. Nur mit Familie funktioniert die Gesellschaft. Würden sie dem Papst zuhören, statt sich brüllend auf die Strasse zu setzen, würden sie mitbekommen, dass er ihre Forderungen besser formuliert und wirkungsvoller als sie selber.
Der Papst beantwortet meine Fragen, ohne dass ich sie gestellt hätte
Bernhard Henry Levi hat recht: Der Papst ist die am meisten missverstandene und verzerrte öffentliche Figur. Und schon deshalb immer interessanter. Weiter in der Pressekonferenz. Die Wahrheit. Sie blüht nur in der Freiheit. In der Vergangenheit hat die Kirche ihre Wahrheiten erzwungen. Das ist falsch. Die Wahrheit des Glaubens braucht keinen Zwang. Der Papst, der Aufklärer, ist einer, der ihrer Kraft vertraut. Gibt es denn nicht auch andere Glaubens-Wahrheiten? Ist nicht alles relativ? Das eben nicht. Zu behaupten, es gäbe keine objektive Wahrheit, hiesse wiederum, nur der Macht das letzte Wort zu lassen. Damit müsste doch auch mein Oberammergauer Regisseur Stückel leben können. Der Papst beantwortet meine Fragen, ohne dass ich sie gestellt hätte. Und auch diese andere zum Heiligen Geist: Vielleicht will er demonstrieren, wie der sich in Disputen verhalten könnte. Leise nämlich, und überzeugend.
Benedikt XVI. steht da in seiner Soutane, das Mikrofon in der Linken, die Rechte ist nach oben geöffnet, als wiege er eine Weltkugel. Oder einen besonders komplexen Gedanken. Wahrscheinlich läuft es bei ihm aufs Gleiche hinaus. Es ist mucksmäuschenstill. Eine große Ruhe, eine Freundlichkeit hat sich über die Pressemeute gesenkt.
Später gibt mir Gänswein ein Zeichen. Ich folge ihm noch vorne, am Purpur vorbei, setze mich neben den Papst, der klein in seinem Polster ruht. Er trägt ein Kreuz, seine Gesichtsfarbe ist gesund, seine Augen lachen. Er freut sich ganz augenscheinlich, mich zu sehen. Ich gebe ihm mein Buch. “Ich habe schon viel davon gehört”, sagt er, und zwar so, als hätte ich was angestellt. Ich habe ihm den Augustinus-Spruch “Incipit exire, qui incipit amare” hineingeschrieben. Wie er den übersetzen würde? Er tastet sich rein. “Wer sich löst, beginnt zu lieben”? Das klingt bei ihm fast buddhistisch, nur die drücken es anders aus, ohne das Wort Liebe zu benutzen. Mir scheint, er hat den Satz wie kein zweiter verstanden.
“Ich wünsche Ihnen Kraft. Machen Sie weiter so”
“Woher haben Sie ihn?”
“Ein Freund meinte, dass er die Essenz Ihrer Theologie enthält.” Der Papst nickt. “Ein schöner Satz. Augustinus hat viele schöne Sätze gesagt.”
“Er hat sich vor Bekenntnissen nicht gescheut.”
“Wie geht es Ihnen im SPIEGEL?”
“Gut. Manchmal ist es schwierig. Aber wo ist das Leben nicht schwierig.”
Er lacht. “Ich wünsche Ihnen Kraft. Machen Sie weiter so.”
“Ich ihnen auch, Heiliger Vater, das haben mir viele aufgetragen.”
Der nächste drängt. Kann man denn nicht einfach mal für zwei Stunden ungestört mit seinem Papst reden? Oder wenigstens “Don Camillo” zusammen anschauen?
Kurz darauf: Die Madrider Hitzehölle. Auf dem Rollfeld tuscht die Militärkapelle, die Benedetto-Mädchen jubeln “Beee-ne-detto”, das Königspaar drückt das Kreuz durch, ein Pennälerspalier von Schweizer Mini-Gardisten ist am roten Teppich aufgezogen, und Cindy, die Korrespondentin der US-Bischofskonferenz juchzt: “Süüüß, die will ich alle adoptieren.”
Der König, hochgewachsen, spricht in Sorge von den Träumen der Jugend, die nicht enttäuscht werden dürfen. Er selber scheint angeschlagen mit Krücke, grauer als der Papst und überschattet von eigenen Skandalen.
“Ihr seid die Protagonisten der Freiheit”
Und der Papst mahnt mit kompromissloser Freundlichkeit, dass es nicht dazu kommen dürfe, dass Christen offen oder heimlich verfolgt würden. Kein Kesseltreiben, auch wenn es die Mode des Tages sein sollte. Gott muss vorkommen dürfen im öffentlichen Diskurs – die abgewirtschaftete sozialistische Zapatero-Regierung sah das anders.
Am Abend schliesslich lassen Hunderttausende Jugendliche in den Fahnenmeeren an der Plaza de Cibeles die Prügeleien der Polizei vergessen und keinen Zweifel daran, dass sie dem merkwürdigsten Idol der jüngeren Geschichte zujubeln: einem kleinen weisshaarigen Professor, der zehn Sprachen mit deutschem Akzent spricht, und darin von Gott und von der Liebe – und von der Freiheit des Christenmenschen. Viele, so ruft er, hätten sich dem Kult ums eigene Ich verschrieben. Sie sind gefangen. Beherrscht von falschen Göttern. Ihr aber, ruft er seinen Jugendlichen zu, “ihr seid die Protagonisten der Freiheit”. Genau so sieht sie wohl aus, die Avantgarde einer neuen Aufklärung.
Quelle
KathTube: Interview mit Mathias Matussek
Die.Frage aller Fragen
Das.katholische.Abenteuer: Matthias Matussek
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