Jeden Tag werden aus dem Donbas neue Opfer gemeldet

Söldner, Fanatiker, Kriminelle

Die Tagespost, 04. Juli 2014

Söldner, Fanatiker, Kriminelle

Moskau ist nur zu symbolischen Zugeständnissen bereit, um Sanktionen zu vermeiden. Von Juri Durkot

Unter den Rebellen sind russische Söldner, Ideologen eines “Neurussland”, orthodoxe Fanatiker, örtliche Halbkriminelle und verunsicherte Bürger der Region.

Jeden Tag werden aus dem Donbas neue Opfer gemeldet. Die Regierung zählt 200 Tote und 600 Verletzte bei den Truppen des Antiterroreinsatzes. Über die Opfer unter der Zivilbevölkerung gibt es keine verlässlichen Angaben.

Die Gebietsverwaltung in Donezk spricht von mindestens 160 Toten aus der Region: Wie viele Einheimische auf der Seite der Separatisten in den Gefechten mit den ukrainischen Verbänden gestorben sind, bleibt unklar, genauso wie die Zahl der getöteten Rebellen.

Selbst während der seltsamen Waffenruhe, die mit dem Abschuss eines ukrainischen Militärhubschraubers begann und mit dem massiven Beschuss der Stellungen der Armee durch Separatisten zu Ende ging, sind über zwei Dutzend Soldaten ums Leben gekommen. Da war die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen wohl die einzig mögliche Option für Präsident Poroschenko. Doch der Druck auf ihn wächst mit jedem neuen Tag und jedem neuen Opfer. Mit der Aufhebung des Waffenstillstands musste er zugeben, dass sein Friedensplan gescheitert ist. Dass die Separatisten nach wie vor Unterstützung aus Russland bekommen, war vorauszusehen. Die Grenze bleibt für den Nachschub von Waffen und Kämpfern offen, in vielen russischen Städten werden Söldner für den Krieg im Donbas angeworben, und der Vizevorsitzende der russischen Duma ruft auf, den Separatisten “auf allen Ebenen” zu helfen.

Moskau hat bisher kein Interesse an der Deeskalierung gezeigt und sieht offenbar die Destabilisierung im Donbas als Mittel, die Ukraine weiter zu schwächen und den Konflikt auf andere Regionen auszuweiten. Um neue Sanktionen zu vermeiden, zeigt sich der Kreml zu symbolischen Zugeständnissen bereit. So kann der Vorschlag einer gemeinsamen Kontrolle von drei Grenzübergängen interpretiert werden, davon wären aber die anderen Übergänge und die allein in der Region Luhansk 800 Kilometer lange Grenze nicht betroffen. Die russische Mitwirkung bei der Freilassung von OSZE-Beobachtern hat zu einem der wenigen diplomatischen Erfolge geführt, hat aber einen ebenso symbolischen Wert wie die Rücknahme der Erlaubnis zum Einsatz russischer Truppen in der Ukraine durch die russische Duma. Nach Einschätzung der meisten Beobachter hindert dieser Beschluss Putin gar nicht daran, eine militärische Intervention in der Ukraine zu starten. Um neue Sanktionen zu vermeiden, zeigt sich die EU bereit, diese symbolischen Zugeständnisse zu akzeptieren und drängt auf eine erneute Waffenruhe und Verhandlungen mit den Separatisten. Die Einheit in der EU hat trotz anders lautenden offiziellen Beteuerungen zuletzt deutliche Risse bekommen. Und die USA sind zunehmend mit der Situation im Irak beschäftigt.

Dass Russland womöglich keinen absoluten Einfluss auf die Separatisten hat, macht die Situation nur komplizierter. Die Truppen der Rebellen sind eine merkwürdige Mischung aus russischen Söldnern, ehemaligen Vertretern der Sicherheitskräfte, ideologischen Anhängern vom mythischen “Neurussland”, orthodoxe Fanatiker, örtlichen Halbkriminellen und verunsicherten Bürgern der Region. Der Hass auf Kiew schweisst sie alle zusammen. Dieser bunte Trupp besteht aus mindestens drei bis vier grösseren und vielen kleineren Gruppierungen, die um die Kontrolle über Gebiete konkurrieren. Der Anführer und “Premierminister” der selbstverkündeten Donezker Volksrepublik ist Alexander Borodaj. Dem 42-jährigen russischen Staatsbürger, der vorher auf der Krim auf die Abspaltung der Halbinsel hingearbeitet hat, werden enge Beziehungen zum russischen “orthodoxen” Oligarchen Konstantin Malofeew nachgesagt. Zwei grosse militante Gruppierungen werden von zwei weiteren russischen Extremisten angeführt, die Kriegserfahrungen in Transnistrien, Tschetschenien und Bosnien gesammelt haben. Dem 2 500 Mann starken “Bataillon Ost” steht der Ex-Chef eines Sonderkommandos des ukrainischen Nachrichtendienstes in Donezk vor. Da sind noch die Don-Kosaken und die “Russische Orthodoxe Armee”, ganz zu schweigen von kleinen Gruppen, die oft nur mit Plündern ihres eigenen kleinen Reviers beschäftigt sind.

Innenpolitisch ist die Lage von Präsident Poroschenko nicht einfacher. Die Missstände in der Armee, die schlechte Ausrüstung der Soldaten, die oft durch private Spenden mit kugelsicheren Westen, Unterwäsche und Schlafsäcken versorgt werden, sowie mangelnde Koordinierung beim Einsatz sorgen für Kritik. Auch Soldatenmütter machen Druck auf die Regierung. Sie wollen dem Sterben ihrer Söhne im Donbas ein Ende setzen und belagern immer wieder Garnisonen, um die Verlegung der Einheiten ins Einsatzgebiet zu verhindern.

Für die Bevölkerung im Donbas ist Poroschenko zu keinem Friedensstifter geworden, in anderen Teilen des Landes befürwortet man dagegen ein härteres Vorgehen gegen die Separatisten. Viele Ukrainer sind der Meinung, dass die Waffenruhe die Separatisten nur gestärkt hat. Sie haben die Pause genutzt, um Waffennachschub aus Russland zu bekommen, neue Söldner anzuwerben und sich umzugruppieren und besser zu verschanzen. So hat Kiew Angst vor dem Einfrieren des Konfliktes und will wohl vor neuen Verhandlungen so viele Gebiete wie möglich zurückgewinnen.

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