Ein Hirt unter Wölfen?

Die Damen in Weiss

Die Pilgerfahrt des Heiligen Vaters nach Kuba könnte die falsche Ruhe der Diktatoren stören – Was Benedikt XVI. auf der Insel vorfindet.

Die Tagespost, 21. März 2012, von Ignacio Uría

Die Damen in Weiss, eine kubanische Bürgerrechtsbewegung, bei einem friedlichen Protest in Havanna. Die meisten Frauen sind Angehörige von Dissidenten. Seit 2003 demonstrieren sie nach Sonntagsgottesdiensten in weisser Kleidung für die Bürgerrechte.

Die Tageszeitung “Granma”, offizielles Organ der kubanischen kommunistischen Partei, hat den Papstbesuch in für den Kommunismus typisch geschwollener Rede begrüsst: “Er wird ein edles, gebildetes, ausgeglichenes und gut organisiertes Volk kennenlernen, das sich seiner Traditionen bewusst ist, die Wahrheit verteidigt und respektvoll zuhört.”

Zwar besucht Benedikt XVI. erstmals Kuba. Aber er weiss, dass das Volk nicht so selbstbewusst und organisiert ist, wie behauptet wird. Ähnlich dem Besuch Johannes Pauls II. im Jahre 1998, an dem ich auf Einladung der Bischofskonferenz teilnehmen durfte, wird auch beim jetzigen Pastoralbesuch die Politik eine Rolle spielen. Dies ist unvermeidbar.Damals wie heute ist Erzbischof von Havanna Jaime Kardinal Ortega, der von einem Teil der Exilkubaner und der Opposition im Lande stets in Frage gestellt wird. Im Gegensatz zum Papstbesuch 1998 werden am Treffen jedoch weder der 2011 verstorbene Primas der kubanischen Kirche Pedro Meurice teilnehmen noch der inzwischen emeritierte Bischof Siro González von Pinar del Río. Auch nicht dabei sein wird Nuntius Beniamino Stella, nunmehr Präsident der Päpstlichen Diplomatenakademie.

Kardinal Ortega bleibt zwar noch im Amt, aber er hat bereits mit seinen 75 Jahren das kanonische Alter erreicht, um seinen Rücktritt anzubieten. Ohne Zweifel wird er beim Pastoralbesuch Benedikts XVI. seinen letzten Dienst an der kubanischen Kirche leisten, die zwischen der Treue zu ihrer Mission und den Zugeständnissen an die Realität abwägen muss. Auf dieser Bühne konnte sich Ortega stets mit einer nicht immer unumstrittenen Geschicklichkeit bewegen. Dennoch sind deren Früchte offensichtlich: eine wachsende öffentliche Präsenz der Katholiken, ein neues Priesterseminar in Havanna oder auch mehr Einreisegenehmigungen für Priester, die in einem Land mit elf Millionen Einwohner etwas mehr als Hundert sind.

Die Exilkubaner werfen ihm seine guten Beziehungen zu Fidel Castro vor. Sie erinnern ihn an die kämpfende Rolle der polnischen Kirche in der Zeit von Jab³oñski und Jaruzelski. Dabei vergessen sie aus eigenem Interesse, dass Kuba nie Polen gewesen ist – nicht einmal zur Zeit des legendären Primas Enrique Pérez Serantes von 1948 bis 1968, dessen Biografie gerade in Spanien erschienen ist.

Trotzdem konnte der Kardinal gegenüber dem Staat den Bogen immer spannen, wenn es ihm angemessen erschien. Beispielsweise um Religionsfreiheit zu beanspruchen: “Die Kirche hat keinen Zugang zu den Medien, die dem Staat gehören. Sie kann keine eigenen Schulen gründen noch in den staatlichen Schulen Religionsunterricht anbieten. So ist es unmöglich, an der Lösung der grössten gesellschaftlichen Probleme mitzuwirken.” Diese unmissverständlichen Worte beschwichtigten jedoch seine Kritiker nicht.

Jaime Ortega gewinnt keinen Zuspruch, weil er reserviert und berechnend ist, darin dem Nuntius Cesare Zacchi ähnlich, der in den 1960er Jahren die vatikanische Ostpolitik zur Besänftigung des Kommunismus in die Tat umsetzte. Wie Zacchi vollführt der Kardinal immer einen Drahtseilakt zwischen dem Geist und der Welt. Er ist davon überzeugt, dass ein öffentlicher Auftritt mit Fidel Castro mehr Türen öffnet als hundert Sitzungen mit dessen Bürokraten.

Sein Einfluss auf die Regierung ist gewachsen, seit Raúl Castro die Macht übernommen hat, wie er letztes Jahr mit seiner Hauptrolle bei der Freilassung politischer Gefangener aus dem “Schwarzen Frühling” unter Beweis gestellt hat. Die oppositionellen “Damen in Weiss” haben seine Stellung ebenfalls anerkannt, als sie ihn um Vermittlung bei der Regierung baten.

Neben Ortega steht der Erzbischof von Santiago de Cuba, Dionisio García, der jetzige Vorsitzende der Bischofskonferenz. Bischof Dionisio ist ein Priester aus Guantánamo, Nachrichteningenieur und ein Protegé von Meurice, der ihn 1996 zum Bischof weihte. Mit seiner Übernahme des Primatssitzes 2007 verbesserten sich die Pastoralbedingungen in seiner Diözese sichtlich (beispielsweise erwirkte er eine Genehmigung für Prozessionen, die wegen des Zusammenstosses seines Vorgängers mit der Diktatur seit Jahren verboten waren) und trieb verschiedene Bauarbeiten in der Erzdiözese (zum Beispiel in El Cobre) sowie die Rückführung enteigneter Kirchenräume (zum Beispiel in der Kathedrale von Santiago selbst) voran.

Trotz seiner für kubanische Verhältnisse relativen Jugend besitzt der 67-Jährige heute reiche Erfahrung (er ist der viertälteste Bischof von den vierzehn Bischöfen der Insel) und wird von Kirchenkennern als möglicher Nachfolger für den Bischofssitz in Havanna gehandelt. Nach dem Kardinal ist er der bekannteste kubanische Bischof, weil er beispielsweise Weihnachten im Fernsehen oder in den Medien zusammen mit Raúl Castro auftritt. Gleichzeitig unterhält er gute Beziehungen zu den Dissidenten. Dies bewies er etwa, als der Bischof die “Damen in Weiss” persönlich schützte, die vor wenigen Wochen in El Cobre von der Polizei angegriffen wurden.

Schliesslich soll auf den Apostolischen Nuntius in Kuba, Bruno Musaró, eingegangen werden, der letzten Sommer aus Peru kam. Sein Vorgänger, Giovanni Becciu, ist nun Substitut im Staatssekretariat. Er hat also ein wichtiges Amt im vatikanischen “Ministerium” inne, das für die diplomatischen – und deshalb auch politischen – Beziehungen des Heiligen Stuhls zuständig ist. Wenn sie alle ihrer Arbeit nachgehen, kann zusammenfassend festgestellt werden, dass Benedikt XVI. über die Verhältnisse auf der Insel gut informiert ist.

Allerdings muss man kein Kardinal sein, um zu wissen, dass die kubanische Diktatur alle in das Land ein- und aus dem Land ausgehenden Informationen kontrollieren möchte. Sie möchte es, kann es aber nicht, zum grössten Teil wegen der Arbeit der demokratischen Opposition. Diese ist zwar wenig organisiert, aber sehr aktiv. Und sie nutzt geschickt die Sozialnetzwerke, was beispielsweise die Journalistin Yoani Sánchez (@yoanisanchez, 220 000 Twitter-Followers) oder der Oppositionelle Jorge Luis García „Antúnez“ (@antunezcuba) tun, der sich für die Menschenrechte einsetzt.

Die beiden sind die zwei Seiten derselben Medaille: Sánchez ist nicht katholisch. Aber sie verteidigt den Papstbesuch, weil er Kuba wieder auf die Titelseiten der Medien bringt. Der praktizierende Katholik Antúnez lehnt ihn ab, weil er glaubt, der Besuch stütze den Staat ab. Beide stimmen in einer Bitte überein: Der Papst möge mit den Dissidenten zusammentreffen – was Johannes Paul II. 1998 nicht tat. Wird der Papst daran gehindert, mit einem Teil des Volkes zu reden?

Die Diktatur braucht die Kirche mehr, als die Kirche die Diktatur braucht. Andernfalls würde sie weiterhin ignoriert wie im letzten halben Jahrhundert. Deshalb verhandelt die katholische Hierarchie aus einer besseren Position über das Besuchsprogramm. Dieses könnte sogar ein Treffen einschliessen, das die Demokraten unterstützt, die ausserdem mehrheitlich katholisch sind.

Wird Benedikt XVI. in Kuba so mutig sein wie in seinem Umgang mit dem Missbrauchsskandal? Oder werden die gegenseitigen Interessen ein solches Treffen unmöglich machen? Der mit dem Sacharow-Menschenrechtspreis des Europäischen Parlaments ausgezeichnete Oswaldo Payá, Führer der illegalen Christlichen Befreiungsbewegung, hat richtig erklärt: “Ob ein solches Treffen stattfindet oder nicht: Der Papst ist willkommen. Etwas anderes gilt den Bischöfen, die dafür verantwortlich sind, sich nicht unter Zwang setzen zu lassen. Der Papst soll die Vielfalt Kubas kennenlernen, nicht nur das, was die Regierung zulässt.”

Nach vier Jahren als Präsident hat Raúl Castro einige Reformen auf den Weg gebracht, “weil das Land am Abgrund steht”. Deshalb wurde sowohl die Nutzniessung von verlassenem staatlichen Grund und Boden als auch der Verkauf bis vor kurzem verbotener Produkte (Mobiltelefone, Computer oder bestimmte Elektro-Hausgeräte) erlaubt. Andere Neuerungen stellten sich jedoch als vernichtend heraus, so etwa die Anhebung des Rentenalters um fünf Jahre, die Schliessung der Arbeiterspeisung oder die Beibehaltung zweier Währungen (der abgewertete kubanische Peso und der mit dem Dollar konvertierbare Peso für die Touristen), was die sozialen Unterschiede verstärkt. Das Szenario könnte sich sogar verschlimmern, wenn die (1962 als vorübergehend eingeführten) Lebensmittelkarten ganz abgeschafft werden oder in den staatlichen Unternehmen die Entlassungen weitergehen (1, 5 Millionen in zwei Jahren).

Das heisst: Auch wenn einige Entscheidungen richtig waren (Ende der Lohn-Obergrenze, Genehmigung der Mehrfachbeschäftigung, Wiedereinführung der leistungsorientierten Entlohnung), ist sich Castro nicht bewusst, dass die langsame Entwicklung hohe soziale Kosten erfordert. Er zieht sich weiterhin in den Diskurs zurück, Kuba sei ein “belagerter Staat”.

Das Regime besteht darauf, dass es weitergehen soll. Die Kubaner wollen aber wissen, wohin. Sie fordern freie Ein- und Ausreise aus ihrem Land (Migrationsreform), was bislang verboten ist. Deshalb befürchtet der kubanische Präsident die Innen- und Aussenreaktion. Alles scheint ihm zu wenig, um einer eventuellen Revolte vorzubeugen, die von der unkontrollierten Preisentwicklung (2011 stieg der Preis für Lebensmittel um 20 Prozent, der Benzinpreis um 22 Prozent) oder von den Einschnitten in den Grunddienstleistungen (im Gesundheitswesen um durchschnittlich acht Prozent, eine Zahl, die sich in der Erstversorgung verdoppelt) ausgehen könnte.

Das Ausbleiben wichtiger politischer Reformen (Legalisierung von Parteien und Gewerkschaften, Wahlen, Pressefreiheit) verschärft den Unwillen und die Angst. Darüber hinaus verstärkte Raúl Castro den mangelnden Willen zur Reform im vergangenen Januar, als er beim Nationalkongress der PCC erklärte, die Einheitspartei sei unverzichtbar, weil “alle anderen Parteien imperialistisch sind”. Die Angst prägt alles: Angst, sich zu wandeln, aber auch Angst, nichts zu ändern. Angst vor dem Scheitern, aber auch Angst, Alternativen zu wagen.

Dies ist das real existierende Land, das Benedikt XVI. vorfinden wird: eine Republik ohne Bürger und ein Staat ohne Ressourcen, in dem die getauften Katholiken knapp zwei Prozent ausmachen. Eine Insel, auf der nur die Kirche kleine freie Räume geschaffen hat, auf der tausende Menschen dank der Hilfe von Caritas überleben, die nun freier arbeitet.

Der Papst wird eine Gesellschaft kennenlernen, die vom Staat mobilisiert (und kontrolliert) wird, in der aber nun die Vorbereitungen auf vollen Touren laufen. Alle Kubaner unter zwanzig Jahren werden zum ersten Mal eine katholische Veranstaltung dieses Ausmasses erleben. Auf den Strassen und Plätzen, auch an den Häusern, sind bereits die Plakate zu sehen, die den “Pilger der Nächstenliebe” begrüssen. Die Initiativen der Jugendpastoral werden zahlreicher.

Kuba steht weiterhin im Auge des Sturms, was eine falsche Ruhe ist. Das Land wird von kräftigen inneren und äusseren Sturmwinden (etwa vom ungerechten amerikanischen Embargo) belagert. Aber es ist bereit, die nötigen Schritte in die Zukunft zu gehen. Die Strukturänderungen sind nicht Gegenstand des Papstbesuches. Sie sind aber eine dringende Notwendigkeit für das Volk, das Benedikt XVI. besucht und das ihn empfängt.

Ohne es zu wollen, könnte die Pilgerfahrt des betagten Papstes aus Anlass der 400. Jahrfeier der “Mutter Gottes von Cobre” vielleicht das Gleichgewicht stören. Oder vielleicht nicht. Gemäss dem Text von Bob Dylan: “The answer, my friend, is blowing in the wind”. Ein Wind, der vielleicht der des Heiligen Geistes ist, der weht, wo er will.

Der Verfasser ist Associate Senior Researcher an der University of Miami, Associate Researcher an der Georgetown University (beide USA) und lehrt an der Universität von Navarra in Pamplona/Spanien. Sein Buch “Iglesia y revolución en Cuba” (Kirche und Revolution in Kuba, 2011) wurde mit dem internationalen Historiker-Preis Jovellanos ausgezeichnet.

Übersetzung aus dem Spanischen

von José García

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